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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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der Terrasse, an der Stelle, an der Molly sich sonst aufzubahren pflegte. Ich hab gesagt, sie soll in England bleiben. Sie wird immer nervös von der Tramontana. Bringt viel salziges Wasser mit. Wird alles feucht, mag sie nicht. Ich wohne jetzt hier, wie früher. Das Haus habe ich vermietet. Zigeuner, was. Er blickte mir nicht nach, als ich ging. Von fern sah ich ihn vor dem noch grellen Sonnenlicht sitzen, der Schatten eines Mannes mit dem Schatten einer Taube. Nicht lange danach wurde er von einer Ambulanz abgeholt und nach England geflogen. Von Andrea bekam ich die Telefonnummer des Krankenhauses, in dem er lag, ein Ort am Meer, Mollys Mutter wohnte in der Nähe. Einmal habe ich ihn noch angerufen. Wenn ich hier rauskomme, geh ich nach Tonga. Ich schick dir eine Karte . Erst ungefähr zehn Tage, nachdem alles vorbei war, hatte Molly die Nachricht versandt, Heinz sei in aller Stille auf dem Friedhof ihres Dorfes beerdigt worden. Endlich hatte sie ihn für sich allein. Ich konnte mir die Zeremonie vorstellen. Vikar, Hymnen, oder wie aus einem wilden Holländer ein englischer Toter wird. Philip erzählte, daß die Taube noch eine Zeitlang jeden Tag gekommen sei und dann plötzlich nicht mehr. Molly sei in England geblieben. Andrea habe das Häuschen leergeräumt, ein einziges Tohuwabohu, eine Art Räuberhöhle. Nein, eine Karte von Tonga hätten sie nicht gefunden.

18

    Ein paar Sommer lang fuhr ich nicht nach Ligurien. Ob ich mein Haus behalten wollte, wußte ich nicht. Philip fand in jeder Saison Mieter, Andrea sorgte dafür, daß es im Winter gelüftet wurde, weil sonst alles verschimmelt wäre. Ich bin mir nicht sicher, ob es an Heinz’ Tod lag, jedenfalls blieb ich auf der anderen Seite der Alpen. Erst nach fünf Jahren fuhr ich zum erstenmal wieder hin. Nach ein paar Tagen lud mich Andrea plötzlich zu einem Ausritt ein. Ich bin kein Reiter, das weiß sie. Ich habe eigens ein zahmes Pferd für dich ausgesucht. Natürlich sprachen wir von Heinz und von Molly. Molly hat mit großer Hingabe angefangen, eine alte Frau zu werden. Sie strengt sich wirklich an. Ist eine traditionelle Rolle, schon seit ein paar Jahrhunderten. Alte Engländerin in Italien, komische Nummer . Sie parierte ihr Pferd durch. Wir ritten über den hohen Bergpfad oberhalb des Dorfs. Von dort kann man das Meer sehen, die Bucht mit Heinz’ Häuschen. Auch an dem Tag war das Meer wild. Sie drehte sich zu mir um. Ihr Gesicht unter der roten Samtmütze braun und starr. Auch sie war älter geworden, allerdings nicht mit Hingabe. Immer noch ritt sie jeden Sonntag Turnier. Heinz wollte allein sein mit seinem Tod, so simpel war das. Dafür brauchte er uns nicht. Er hat es immer gewußt, seit Arielle . Sie ließ ihr Pferd eine halbe Wendung machen, damit sie mich besser ansehen konnte. Niemand hat je begriffen, was Arielle für ihn war. Eine Spinnwebe. Ich weiß, wie idiotisch das klingt, aber das war es. Man konnte sie kaum anfassen. Sie war ätherisch, wenn du willst, oder durchsichtig, aber Spinnwebe, das trifft es besser. So ähnlich wie wenn jemand sehr schön singt, aber in einem anderen Zimmer. Das war es, was die Männer erregt hat, allen voran Philip. Aber das war es auch, weswegen Heinz sie für sich behalten wollte.

19

    Ich bin wieder auf der anderen Seite der Alpen, wo ich diese Geschichte erzähle. Jetzt sehe ich mir das Foto noch einmal an. Der Hund, der Häuserverkäufer, Andrea, Philip, Heinz, keiner hat sich bewegt. Sie stehen da, festgefroren in der Zeit, sobald sie sich bewegen, erzählen sie meine Geschichte. Ich blicke auf Heinz’ Gesicht und würde gern etwas von dem sehen, was ich gerade berichtet habe. Aber es ist unsichtbar. Der Alkohol, das Lachen, die Taube, der Tod, Tonga, es ist da, weil es da war, weil ich es weiß, aber das gilt für keinen anderen. Es bleibt unsichtbar. Wenn einer dieses Foto irgendwo findet und die Menschen nicht kennt, behalten sie ihr Rätsel. Solange sie nicht sprechen, sind ihre Augen die Augen von Tieren, man kommt nicht hinein. Und wer mich betrachtet auf diesem Foto, was sieht der?Das gleiche. Nichts. Oder eine Interpretation, die die Wirklichkeit nicht deckt, was immer das sein mag. Er oder sie kann etwas sagen über Alter, über Kleidung, über Mode und damit über die Zeit, meinetwegen auch noch über Charakter, aber alles ist Hypothese, erdacht. Literatur, wenn man so will, Fiktion. Wir sind unsere Geheimnisse, und wenn es mit rechten Dingen zugeht, nehmen wir sie dorthin mit, wo niemand
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