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Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

Titel: Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Gwisdek
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unaufhörlich.
    »In einer Praktikumsbeurteilung stand mal, ich hätte keine Persönlichkeit. Das stimmt, denn nachdem mein Vater uns verlassen hatte, wurde ich zum Sklaven meiner Mutter. Sie tat mir leid, weil sie nur noch mich hatte. Ich tat also nichts, was sie nicht wollte, besser gesagt, ich tat nur, was sie wollte, um ihr nicht weh zu tun. Ich war ein Hanswurst, wie er im Buche steht. Wahrscheinlich bin ich auch deswegen Bulle geworden. Ich wollte endlich jemand sein.«
    Ein hysterisches Lachen überkam Alexandra. Wie in jedemschlechten Film würde nun gleich die Nummer mit der verpfuschten Kindheit folgen. Man musste kein Psychologe sein, um dieses Schema schnell zu durchschauen, denn es diente einzig der Rechtfertigung der eigenen Unzulänglichkeit. Harris war gar nicht in der Lage, sich selbst zu analysieren. Das, was er da von sich gab, war die aufgeschnappte Theorie eines Psychoanalytikers. Alexandra verstand mit einem Mal alles: Harris’ Geschichte lag vor ihr wie ein offenes Buch.
    »Hast du sie umgebracht, weil du dich für deine Mutter rächen wolltest? Junge Mädchen, die sich ältere Männer nehmen. Die einen Vater aus einer Familie reißen, ohne sich darum zu kümmern, was aus den Kindern wird? War’s so, Harris?«
    Das Entsetzen in Harris’ Gesicht war echt. Sie hatte ihn dort, wo sie ihn haben wollte. »Rache ist zuckersüß, nicht wahr?«, flötete Alexandra. »Aber sie hält nicht lange. Sie verflüchtigt sich wie ein Tropfen auf einem heißen Stein. Dann beginnt es von vorn. Es nagt an dir. Du suchst den neuen Rausch, ein neues unschuldiges Mädchen, um deine Gelüste zu stillen.«
    »Das ist krank«, stieß Harris hervor.
    »Ja«, bestätigte Alexandra kurz und knapp, »es ist wie eine unheilbare Krankheit, wie ein Vulkan. Es bricht immer wieder aus.«
    »Wovon redest du?«
    In Alexandras Stimme klang jetzt fast ein Funken Bewunderung mit.
    »Ich muss ehrlich zugeben, dass ich dich unterschätzt habe.«
    Harris sah sie lange an. Er hatte wieder jenen unsagbar durchdringenden Blick wie einst auf den Bahngleisen, jetzt aber mischte sich Traurigkeit darunter. Das Klingeln des Handys in seiner Hosentasche ließ beide vor Schreck zusammenfahren.
    »Wenn ich nicht rangehe, werden sie mich suchen.«
    Alexandra ließ sich vornüberfallen, rutschte an Harris heran und griff in seine Hosentasche. »Genau das will ich. Sie sollen nach dir suchen!«
    Sie legte das Handy auf den Fußboden und wartete, bis das Klingeln aufhörte.
    »Ich weiß nicht, warum du das machst«, sagte Harris. »Ich kann nachvollziehen, dass einige Dinge, die ich dir erzählt habe, gegen mich sprechen, wenn man sie unter einem bestimmten Aspekt betrachtet. Die Sache mit dem Shirt zum Beispiel oder wie ich Theresias Leiche finden konnte. Aber ich war es nicht. Ich hatte keinen Grund, diese Frauen zu töten.«
    Alexandra stand auf und hüpfte auf einem Bein in die Kammer. Sekunden später flogen Kleidungsstücke und Perücken aus der offenen Brettertür. »Und das hier? Und das?«, schrie sie empört. »Wie kommen diese Sachen in meine Kammer? Du willst ’n Bulle sein, und dann fällt dir hier drin nichts auf? Ich kann dir sagen, warum nicht! Weil du sie selbst hier versteckt hast!«
    Harris hatte nur darauf gewartet, dass sie abgelenkt war, um unbemerkt an sein Handy zu gelangen. Er ließ sich auf die Seite fallen, so dass sein Kopf neben dem Handy zu liegen kam, und drückte mit der Nasenspitze auf die Mailboxtaste. Alexandra war schneller. Von ihm unbemerkt hatte sie die Kammer verlassen, war leise herangekrochen und zog das Telefon blitzschnell unter seinem Kopf hervor. Lächelnd drückte sie die Lautsprechertaste. Schneiders Stimme, unterlegt von dumpfem Motorengeräusch, hallte durch den Raum.
    »Verdammt noch mal, warum gehen Sie nie ran? Okay. Hören Sie gut zu. Ich habe mir die Nachricht auf Ihrer Mailbox noch mal genau angehört. Claudia Bormann sagte nicht: Es ist dieser … Sie sagte: Es ist diese … In den zwei Sekunden, bevor der Anruf unterbrochen wurde, hätte sie das r noch sagen können. Harris! Der, nach dem wir suchen, ist eine Frau. Es ist … Alexandra Fischer.«
    Sekundenlang herrschte Stille. Über Alexandras Gesicht glitt ein liebevolles Lächeln, als ihr Handrücken sanft und zärtlich über Harris’ Wange fuhr. Sie küsste ihren Zeigefinger und legte ihn auf seine Lippen.
    »Du weißt, dass ich dich jetzt töten muss!«, sagte sie leise.

43.
    Das Chaos am Deich erreichte gerade seinen Höhepunkt, als

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