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Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

Titel: Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Gwisdek
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beschloss nun Harris, das Spiel so lange mitzuspielen, bis er sie entweder überwältigt hatte oder ihm irgendjemand zu Hilfe kam. Er hielt Alexandra zwar nicht für dumm, aber in dem Zustand, in dem sie sich derzeit befand, für wankelmütig und beeinflussbar. Er glaubte, nur den richtigen Knopf drücken zu müssen, damit sie zusammenbrach.Und dieser war, nach dem, was sie eben gesagt hatte, leicht zu finden.
    »Vielleicht solltest du mit deinen Eltern darüber reden. Ich bin sicher, dass sie dir verzeihen.«
    »Meinst du?« Sie reagierte, wie erhofft. Über ihr Gesicht glitt ein zuversichtliches Lächeln, sie drückte den Rücken gerade und klatschte in die Hände. »Ich werde ihnen sagen, wie sehr ich meinen kleinen Bruder geliebt habe. Und dass ich seither nie wieder einen Schluck Alkohol getrunken habe. Und dass ich jetzt klarkomme mit meinem Leben. Und dass ich einen Mann kennengelernt habe, der mich liebt und beschützt. Sie werden mir glauben, ganz bestimmt. Und dann werden sie mir verzeihen!« Völlig aufgelöst nickte sie jetzt ununterbrochen mit dem Kopf.
    »Und wenn Nina dann Weihnachten aus New York zurückkommt, werde ich alle hierher einladen. Meine Eltern, meinen kleinen Bruder, Nina und dich. Es wird wunderbar!« Sie beugte sich über die Axt und musterte kritisch ihr Spiegelbild. »Was hältst du davon?«, fragte sie, als ob es die normalste Sache der Welt wäre. Dabei zupfte sie die angeklebten Haare von ihrer Stirn, fuhr ein paar Mal mit den Fingern hindurch und ordnete dann mit geübten Handgriffen die Frisur.
    »Ja«, sagte Harris, »das wird sicher schön.« Für einen Moment sah sie ihn an wie früher. Ihr Lächeln war das von ehemals, ihre Stimme klang weich, nur ihre Augen beherbergten einen seltsamen Schatten. Harris bemühte sich, ihren Blick zu erwidern, zweifelte aber daran, dass es ihm wirklich gelang. Alexandra rutschte an ihn heran, küsste ihn zärtlich auf den Mund und bettete ihren Kopf an seiner Brust. Ganz leise begann sie zu singen. »Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. Verschon uns, Gott, mit Strafen und lass uns ruhig schlafen … Philipp liebte dieses Lied.« Alexandra lächelte eine Weile still vor sich hin.
    »Mein Vater sagte einmal zu mir, wir sollten nicht das bereuen, was wir getan haben, sondern nur das, was wir nicht getan haben.« Sie richtete sich auf und sah Harris in die Augen. »Ich habe meinen kleinen Bruder sterben lassen. Jede Nacht frage ich mich: War das etwas, was ich getan, oder etwas, was ich nicht getan habe?« Noch einen Moment sah sie ihn an, erst als sich ihre Augen mit Tränen füllten, senkte sie den Blick. »Würdest du mitkommen?«, flüsterte sie.
    »Wohin?«
    »Zu meinen Eltern!«
    »Ich denk schon.«
    Alexandra wischte sich hastig über ihre Wangen und strahlte. »Das ist gut«, sagte sie, »das ist sehr gut.« Sie atmete tief ein und ließ beim Ausatmen ruckartig die Schultern fallen. »Also was ist, wollen wir?«
    »Jetzt?«
    »Warum nicht? Wenn wir gleich losfahren, könnten wir mittags in Frankfurt sein.«
    Harris hielt ihr seine gefesselten Hände hin. »Wenn du mich zum Auto trägst.«
    »O Gott, ja natürlich«, entschuldigte sich Alexandra. Mit vor Aufregung zitternden Händen versuchte sie, das dicke Tau um Harris’ Knöchel zu lösen, aber der Knoten hatte sich inzwischen so fest gezogen, dass es ihr einfach nicht gelingen wollte. Verzweifelt sah sie zu Harris auf. Als dieser ihr jedoch erneut seine Hände entgegenstreckte, änderte sich ihr Blick. Hastig griff sie nach der Axt und hielt sie schützend vor sich. Dann entfernte sie sich rutschend in Richtung der Luke, stützte sich auf den Stiel der Axt und versuchte, auf die Füße zu kommen. Harris hatte mit der Schienung des Knöchels gute Arbeit geleistet. Nach einigen Fehlversuchen stand Alexandra schließlich auf beiden Beinen. Es war nicht zu erkennen, was in ihr vorging, äußerlich wirkte sie ruhig, aber in ihrem Inneren tobte ein schier unlösbarer Kampf. Irritiert sahsie zwischen Harris und dem Fenster hin und her. »Meinst du, dass er uns gehen lässt?«
    »Von wem sprichst du?«
    »Adam. Er tauchte immer dann auf, wenn ich gerade gehen wollte.«
    Ein kaum hörbares Knacken ließ sie erschrocken den Kopf herumreißen. Den Stiel der Axt mit beiden Händen umschlungen, stand sie über der offenen Luke und sah hinunter.
    »Noch einen Schritt, und ich töte ihn!«, sagte sie mit fester Stimme.
    Obwohl Harris danach zumute war,

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