Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
aufzuhalten, geradezu haarsträubend. Sie hatte das Erdgeschoss noch nicht erreicht, als ein gellender Aufschrei durch das Haus hallte. »Nina?«, rief sie aus voller Brust und hastete die Treppe wieder nach oben. Statt einer Antwort hörte sie lautes Poltern, dann herrschte Ruhe. In Panik schoss sie die steile Dachstiege hinauf und steckte ängstlich den Kopf durch die Luke.
»Kannst du mir sagen, wer auf derartig perverse Ideen kommt?« Nina saß im Lichtkegel der am Boden liegendenTaschenlampe in der Mitte des Raumes und hielt an den ausgestreckten Händen die Enden eines Strickes, an dem etwas Undefinierbares baumelte. Erst beim Näherkommen konnte Alexandra erkennen, dass es sich um tote Mäuse handelte. Man hatte sie an Miniaturgalgen kopfüber mit gleichmäßigem Zwischenraum von circa zehn Zentimetern an den Strick gebunden.
»Das ist krank«, sagte Nina und stand auf. Alexandra trat unwillkürlich einen Schritt zurück, um zwischen sich und die Mäuseleichen entsprechenden Abstand zu bringen. »Das ist vollkommen krank«, wiederholte Nina, während sie zum Fenster lief und den Strick hinauswarf.
»Lass uns wieder nach unten gehen«, drängelte Alexandra. »Ist doch idiotisch, im Dunkeln hier rumzukriechen. Ich hatte eh vor, Harris zu bitten, dass er sich mal gründlich hier oben umsieht.«
Nicht nur, dass sie befürchtete, weitere Tierkadaver zu finden, es war vielmehr die Angst davor, auf etwas zu stoßen, was die Existenz des unheimlichen Dachbewohners bestätigen könnte.
»Okay«, antwortete Nina, »aber die Kammer siehst du dir noch an!«
Alexandra verzog unwillig das Gesicht. »Kann ich doch ein andermal, oder? Ich meine, diese Kammer gibt’s doch morgen auch noch!«
»Komm einfach her!«, forderte Nina und richtete den Strahl der Lampe in das Innere des Holzverschlages. Widerstrebend gab Alexandra nach. Den alten Schaukelstuhl in der Mitte der Kammer kannte sie schon, und wider Erwarten saß weder eine Puppe, geschweige denn ein Mensch darin. Der Schrecken der ersten Nacht musste ihr übel mitgespielt haben, denn sie war fest davon überzeugt, Derartiges gesehen zu haben. Der Platz rund um den Stuhl war eng bemessen, denn die Bretterwände säumten Schuhregale unterschiedlicherHöhe, schwerbeladene Kleiderständer, übereinandergestapelte Kisten, ein zweitüriger Kleiderschrank und zu guter Letzt eine alte Kommode, aus deren halb geöffneten Türen Unmengen von Tüchern oder Ähnlichem quollen. Quer über allem waren dicke Taue gespannt, an denen auf Bügeln weitere Kleider von der Decke hingen. Ein großer Standspiegel zur Linken war so ausgerichtet, dass sich der im Schaukelstuhl Sitzende sehen konnte. Im Gegensatz zum übrigen Dachboden war die Kammer von penibler Sauberkeit.
»Der reinste Klamottenladen!«, wiederholte Nina und trat neugierig einen Schritt nach vorn. »Mir ist allerdings schleierhaft, warum sich jemand so einen begehbaren Kleiderschrank auf dem Dachboden einrichtet!«
Nach einem prüfenden Blick ließ sich Nina in den Schaukelstuhl fallen, rückte ihn noch ein wenig zurecht und betrachtete sich mit zufriedenem Lächeln im Spiegel.
»Ich find’s super hier! Wenn du nicht weißt, was du anziehen sollst, beim nächsten Date mit Harris zum Beispiel, dann gehst du hier hoch und suchst dir irgendwas aus. Phantastisch! Eine kostenlose Boutique im eigenen Haus!«
Nina begann hin und her zu schaukeln, wobei sie den Kopf in alle Richtungen drehte, dass einem schon vom Zusehen schwindlig wurde, und begutachtete eingehend Kleiderbügel für Kleiderbügel. Dann stoppte sie abrupt. Mit weit aufgerissenen Augen fixierte sie ein Paar schwarze High Heels mit roten Sohlen auf dem obersten Regalbrett. »Das glaube ich nicht!«, rief sie voller Entrüstung und sprang wie elektrisiert vom Stuhl auf. »Weißt du, dass ich wochenlang, ach, was sage ich, monatelang nach genau diesen gesucht habe?! Und jetzt finde ich sie auf einem Dachboden am Arsch der Welt!« Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, als die Schuhe schon ihre nackten Füße zierten.
»Du willst sie doch nicht etwa behalten? Dieser ganze Kram hier gehört mir nicht!«, beanstandete Alexandra.
Nina blieb unbeeindruckt. Sie stemmte demonstrativ die Hände in die Hüften, stellte abwechselnd die Füße nach vorn und betrachtete entzückt die lackschwarzen Pumps. »Es ist dein Haus, dein Dachboden, also sind es auch deine Schuhe! Und jetzt hast du sie mir geschenkt!«
Missbilligend sah Alexandra auf die Schuhe, ließ ihren
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