Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Blick noch einmal prüfend durch die Kammer streifen und nickte dann der Freundin zu. »Na gut. Ich habe die Kammer gesehen, du hast neue Schuhe, jetzt lass uns gehen! Ich will hier keine Sekunde länger bleiben.« Ohne eine Antwort abzuwarten, durchquerte Alexandra den Dachboden, blieb dann unvermittelt stehen und drehte sich zu Nina um. »Hältst du mich für verrückt, mich in jemanden zu verlieben, den ich erst seit zwei Tagen kenne?«
Mit einem triumphierenden Lächeln klopfte ihr Nina im Vorbeigehen auf die Schulter. »Du warst schon immer verrückt, dazu brauchte es nicht diesen Sheriff!«
Unten angekommen, ließ Nina sich im Sessel nieder und schlug elegant die Beine übereinander, so dass der Schuh an ihrem rechten Fuß direkt vor Alexandras Gesicht wippte.
»Wie findest du sie?«
»Unpraktisch«, antwortete Alexandra knapp und schob Ninas Fuß zur Seite. Ihre Schroffheit war unfair, das wusste sie, aber die Beklemmung, welche sie seit dem Betreten der Kammer verspürte, ließ keine andere Reaktion zu. »Kannst du dir vorstellen, dass diese ganzen Sachen meiner Vorgängerin gehörten, und wenn ja, warum sie die nicht mitgenommen hat?«
Nina, die noch immer mit ihrer neuen Errungenschaft beschäftigt war, zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Du kannst einem aber auch jeden Spaß verderben!«, murmelte sie, rutschte vom Sessel herunter und benutzte ihn, auf dem Boden sitzend, als Rückenlehne. »Was interessiert dich, wem diese Klamotten gehörten? Vielleicht hatte diejenige einfachkeine Verwendung mehr dafür. Hast du eine Ahnung, was ich schon in Wohnungen zurückgelassen habe? Drei Mal umgezogen ist so gut wie ein Mal abgebrannt!«
Unter anderen Umständen hätte Alexandra sich mit Ninas Ansicht zufriedengegeben, aber Harris’ Satz, während ihrer ersten Begegnung, den er wenig später zum Scherz deklarierte, spukte in ihrem Kopf herum. »Na gut. Ich erzähl es dir. Also, auf der Fahrt hierher hielt der Zug plötzlich mitten auf der Strecke, weil eine geköpfte Frau am Gleisbett lag, ich kam also erst im Stockdunkeln in Eberswalde an. Schließlich fuhr mich ein alter Mann zu meinem Haus, dessen Tochter von irgend so einem Wahnsinnigen umgebracht wurde. Beinahe alle, die ich bisher kennengelernt habe, weichen, wenn ich auf mein Haus zu sprechen komme, sofort aus. Der eine druckst herum, der andere wechselt das Thema. Bei meiner ersten Begegnung mit Harris erzählte der mir sogar, dass alle meine Vormieterinnen auf mysteriöse Weise verschwunden seien. Er sagte zwar, dass er mir eigentlich nur einen Schrecken einjagen wollte und dass das seine Art von Humor wäre, aber so ganz glaube ich ihm das nicht. Meinen Gartenzaun zierten aufgespießte Frösche, eine blinde alte Frau beschwor mich im Supermarkt, dass ich von hier fortgehen solle, und jetzt findest du auf meinem Dachboden auch noch aufgehängte Mäuse!«
Alexandra war sich sicher, dass jeder an dieser Stelle wenigstens ein bedeppertes Gesicht machen würde. Nina hingegen kaute auf einem Brotkanten herum und sah sie an, als hätte sie soeben den Wetterbericht der letzten Tage heruntergebetet. Da also zu befürchten war, dass sie mit einer blamablen Gegenrede aufwartete, versuchte Alexandra ihre Aufzählung nun ein wenig zu relativieren.
»Klar können das alles Zufälle sein, und sicher wirst du mich jetzt genau damit beruhigen wollen, aber ehrlich, wie wahrscheinlich ist eine derartige Anhäufung sogenannterZufälle innerhalb von drei Tagen? Ich meine, auch wenn ich mir das alles nur einbilde, für die Geräusche auf dem Dachboden muss es trotzdem eine plausible Erklärung geben!«
Nina reagierte noch immer nicht.
»Und die Kellnerin aus der Dorfkneipe ist auch verschwunden!«, fügte Alexandra trotzig hinzu.
Nina schnaufte hörbar. »Und wenn ich dir sage, dass es für alles eine Erklärung gibt, die ganz sicher weniger mysteriös als deine phantasievolle Verkettung ist, würdest du dich dann beruhigen?«
Alexandra zog mit einem flehenden Ausdruck in den Augen die Schultern nach oben. »Gehen wir es Punkt für Punkt durch und fangen hinten an«, begann Nina. »Ist doch vollkommen normal, dass man sich in diesem Haus bei jedem Geräusch … noch dazu, wenn man allein ist, vor Angst in die Hosen scheißt. Ich selbst würde es keine Nacht hier allein aushalten. Aber ich bin mir sicher, dass du dich irgendwann daran gewöhnt hast und sie gar nicht mehr hörst. Deine Zugverspätung und auch der alte Mann, dessen Tochter ermordet wurde, sind
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