Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
einem routiniert vorgehenden Serienmörder oder sich so lange zu verstecken, bis eine Rettung in Sicht war. Das Ohr eng an die Tür gepresst, spielte sie gedanklich alle Möglichkeiten durch. Sie würde alles tun, was nötig war, und wenn es die Umstände erforderten, würde sie ihn auch töten. Die Umstände! Was würde das sein? Dieser Umstand, dass sie ihn …
Mehr als einmal hatte sie diese Frage gestellt, wenn sie sich am Ende eines Filmes gemeinsam mit Freunden Horrorszenarien ausmalte, an deren Schluss man dazu fähig sein müsste. Sie hatte immer eine Antwort gefunden, die leicht über die Lippen kam. Sie würde töten, bevor sie getötet wurde. Aus Rache zu töten, schien einfach, weil sie es für das stärkste Motiv hielt. Aber wie war es mit Angst? Das war ihre Schwachstelle. Angst lähmte sie, ließ sie Fehler machen und nicht mehr klar denken. »Also reiß dich zusammen und verliere nicht die Nerven«, beschwor sie sich selbst. Das Rinnsal unter der Tür war mittlerweile zu einem breiten Durchfluss angewachsen und setzte nun auch den Boden der Küche zunehmend unter Wasser. Wie lange würde es dauern, bis der Raum hüfthoch geflutet war? Eine Stunde, zwei? Wie viel Zeit hatte sie, einen Ausweg zu finden? Es blieb ja nur das Haus, der Garten hatte sich längst in einen See verwandelt. Alexandra durchforstete mit den Augen den Raum. Das Fenster führte auf ein Wassergrundstück und die Tür, an der sie stand, in den Flur. Mehr Möglichkeiten, den Raum zu verlassen, gab es nicht. Aber sie musste höher hinauf, nicht weil sie ertrinken, sondern vor Angst sterben würde. Ihre Phobie gegen Wasser würde erfahrungsgemäß keine Spontanheilung erfahren. Im Hausflur war es still. Entweder hockte der Mann noch immer auf der Treppe, oder er hatte sich weiter nach oben begeben. Seine Angst vor Wasser schien ebenso ausgeprägt wie die ihre. Leise öffnete Alexandra die Tür und sah durch den Spalt. Soweit sie es übersehen konnte, war die Treppe leer. Das Wasser im Flur war mittlerweile kniehoch angestiegen und strömte jetzt leise rauschend durch den Türspalt in die Küche. Erschrocken machte Alexandra einen Schritt rückwärts, rettete sich auf den Küchenstuhl und beobachtete mit Ensetzen, wie die Flut gegen die Tür drückte, bis sie schließlich sperrangelweit offen stand. Binnen Sekunden hatte sich der Wasserpegel im Raum angeglichen. Ihr blieb einfach keine Zeit!
Genau genommen war der Dachboden nun die einzige Stelle, an der sie eine Chance hatte, die Zeit trocken zu überstehen. Aber wie hoch war das Risiko, ihm geradewegs in die Arme zu laufen? In ihrer Hosentasche befand sich noch immer der Schlüssel des Vorhängeschlosses für die Dachluke. Wenn es ihr gelang, von ihm unbemerkt den Dachboden zu erreichen, dann könnte sie dort tagelang ausharren, bis, und dessen war sie sich sicher, irgendjemand nach ihr suchen würde. Die Möbel auf dem Dachboden würden ausreichen, die Luke so zu beschweren, dass sich diese von unten nicht mehr anheben ließ.
Wenn sie im Flur am Regal des geöffneten Wandschrankes hinaufkletterte, gelangte sie über das Treppengeländer ungefähr auf die Hälfte der Treppe. Von dort waren es nur Sekunden bis zur Dachluke.
Hochkonzentriert sah Alexandra sich um. Sie brauchte etwas, das ihr als Brücke dienen konnte. Das Brett, welches hinter der Tür lehnte, war unerreichbar, auch würde es ihr nicht gelingen, den schweren Küchentisch von ihrem Stuhl aus so zu verschieben, dass er als Übergang diente. Sie musste durchs Wasser, auch wenn der bloße Gedanke daran ihr Herz fast zum Stillstand brachte. Alexandra sah auf den silbernen Kaffeelöffel in der Zuckertüte und atmete ruhig. Dann sprang sie mit einem lauten Schrei ins Wasser, rannte auf das Regal zu und kletterte daran hoch. Kurz bevor es aus dem Schrank zu kippen drohte, bekam sie das Treppengeländer zu fassen und zog sich nach oben. Kaum auf den Füßen, hetzte sie die restlichen Stufen hinauf, zerrte im Laufen den Schlüssel aus der Hosentasche und steckte ihn ins Schloss. Das laute Klicken des Vorhängeschlosses klang wie eine Erlösung. Mit letzter Kraft stemmte sie die Luke nach oben, kroch hindurch und setzte sich darauf. Erst jetzt schien sie wieder zu atmen.
Um sie herum herrschten tiefe Dunkelheit und Stille. Es würde nicht leicht sein, in der Finsternis Gegenstände zufinden, um die Luke damit zu beschweren, abgesehen davon, dass es geräuschlos gar nicht zu bewerkstelligen war. Es war so schwarz um sie herum,
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