Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Die blinde Frau auf der Gartenbank hatte ihr nachgerufen, sie solle Adam grüßen, wenn sie ihn sähe. Von seiner Mutter! Konnte die alte Frau wirklich ihn meinen? Wusste sie, dass er hier hauste, und wenn ja, wie lange hütete sie dieses Geheimnis schon?
»Wie lange wohnst du schon hier?«
Adams Blick verlor sich plötzlich. Er zwirbelte eine lange Haarsträhne zwischen seinen Fingern und summte leise vor sich hin
»Niemand wohnt lange in diesem Haus!«, sagte er schließlich.
Auch diesen Satz hatte sie schon einmal gehört. Paul hatte ihn gesagt, und schon damals war er ihr merkwürdig vorgekommen. Sie hatte nicht gefragt, warum das so war.
»Wieso nicht?«
Adam wiegte den Kopf hin und her. Er schien zunehmend Gefallen daran zu finden, sie mit seinen Antworten zu verwirren.
»Hast du dich denn nicht gefragt, warum es so günstig ist?«
»Doch, aber das Haus ist nun mal nichts wert.«
Er kicherte wie ein Kind.
»Das Ammenmärchen! Wie schön! Und das glaubst du?« Er schüttelte wild den Kopf und machte dann ein todernstes Gesicht.
»Es ist das Haus einer Mörderin. Und das weißt du! Vergossenes Blut trocknet nie!«, sagte er mit betont tiefer Stimme.
Was in Gottes Namen meinte er damit? Las er ihre Gedanken? An ihren Händen klebte das Blut ihres Bruders und … nein, er konnte nicht sie meinen. Er sprach von sich. Er sprach von seinen mörderischen Feldzügen, die er von hier aus startete. Warum sonst trug er Frauenkleider?
»Du bist wahnsinnig!«
»Ja.«
Ein paar Minuten lang herrschte Stille. Adam summte leise vor sich hin und warf ihr gelegentlich verklärte Blicke zu. In Alexandras Kopf wechselten unterdessen Angriffs- und Fluchtgedanken. Entweder musste sie auf eine passende Gelegenheit zur Flucht warten, oder sie schaffte es, ihn zu überwältigen.
Die Fluchtmöglichkeiten nach unten waren des Wassers wegen zwar begrenzt, aber die Kammer hinter der roten Tür, die ihr als Versteck vor Harris gedient hatte, besaß nur ein winziges Fenster. Ein ausgewachsener Mann wie Adam würde da unmöglich hindurchpassen. Der Gedanke an diesen Ausweg beruhigte sie ein wenig, auch wenn sie noch keine Ideehatte, wie sie den Plan ausführen sollte. Unauffällig sah sie sich um. Sie musste ihren Platz auf der Luke verlassen, ohne dass er es bemerkte. Im passenden Moment würde sie die Luke anheben und sich nach unten fallen lassen. Selbst auf die Gefahr hin, dass sie sich beim Sturz alle Knochen brach, bis in die Kammer würde sie es, wenn nötig, auch kriechend schaffen. Der lederne Beutel an ihrem Gürtel schlug leise klappernd gegen ihren Oberschenkel, als sie ein Stück nach vorn rutschte. Erschrocken hielt sie ihn fest und sah zu Adam. Er hatte nichts bemerkt, nach wie vor summte er die immergleiche Melodie. Unterdessen gedieh in ihr ein neuer Plan. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass der Lederbeutel mit den Pinseln ihr einmal das Leben retten könnte, doch er beherbergte unter anderem auch das Skalpell, welches sie zum Schneiden der Leinen benutzte. Aber würde sie den Mut aufbringen, es gegen einen Menschen zu richten?
»Was hast du da?«, fragte Adam plötzlich und deutete auf ihren Oberschenkel. Kein Zweifel, er konnte Gedanken lesen oder hatte, was wahrscheinlicher war, doch das Klappern bemerkt.
»Meine Pinsel.«
In Adams Augen blitzte es verzückt. »Du malst?«
Sie nickte. Begeistert fuhr sich Adam durch die Haare, spuckte in seine Hände und ordnete einzelne Strähnen. Dann sah er lächelnd an sich herunter. »Ich möchte, dass du mich malst.«
»Dafür kenne ich dich zu wenig.«
»Warum musst du mich kennen, um mich zu malen?«
Alexandras Antwort war ein vorgefertigter Satz ihres Dozenten an der Hochschule. Sie hatte ihn oft benutzt, um Leute davon abzuhalten, sie um ein Porträt zu bitten.
»Weil ich dafür in dich hineinsehen muss. Es würde sonst nur ein Bild werden.«
Adam kroch plötzlich mit enormer Geschwindigkeit auf siezu. »Sieh in mich hinein!«, flüsterte er. »Hier! Ich helf dir dabei.« Er zückte plötzlich ein Messer und hielt es sich an die Brust. »Soll ich es aufschneiden?«
Alexandra schrie vor Entsetzen auf und rutschte von ihm weg. Instinktiv streckte sie die Arme aus und hielt ihm die Handflächen entgegen, um Abstand zu signalisieren. Zu ihrer Erleichterung kam er nicht näher heran.
»Nein! Ich sehe dich! Ich sehe dich ganz genau! Erzähl mir was, Adam, dann kann ich auch in dich hineinsehen.«
Adam ließ das Messer sinken, behielt es aber in der
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