Nachts wenn der Teufel kam
Büroraum der Försterei waren ungefähr 800 Reichsmark entwendet worden. Das Schloß wurde mit dem Originalschlüssel geöffnet. Der Doppelmord wurde in den Morgenstunden des 6. November 1928 entdeckte.
Gewissenhaft sind in dem Aktenstück die zahlreichen Irrwege der Polizei festgehalten. Die Mordkommission nahm sofort an, daß das Motiv des Verbrechens Rache sein müsse. Man durchsiebte die Akten nach allen Personen, die Forstmeister Grimm in den vielen Jahren seiner hauptamtlichen und außerberuflichen Tätigkeit angezeigt hatte. Insgesamt waren es über hundert Verdächtige.
Sieben von ihnen blieben zunächst im Sieb der Kriminalpolizei hängen. Vier konnten ein einwandfreies Alibi erbringen, die anderen drei kamen für Wochen in Untersuchungshaft. Es waren drei junge Burschen, die eben ihre Strafe wegen Wilderei verbüßt hatten und nicht nachweisen konnten, wo sie sich in der Mordnacht aufhielten. Schließlich mussten sie entlassen werden. Die Akten bezeichnen sie als die mutmaßlichen Täter‹.
Sechzehn Jahre später steht Bruno Lüdke am Tatort. Er wird auf das Haus zugeführt.
»Det is umjebaut worden«, sagt er. »Ick hab' es ja ooch anjezündet.«
»Warum, Bruno?«
»Det hat mir Spaß jemacht.«
Und zum 20. oder 25. Mal stehen die Beamten der Sonderkommission an einem Schauplatz des Verbrechens, hören die Schilderungen des Mörders an, schreiben sie mit und sind wieder einen Schritt weiter in der Bilanz des Massenmörders.
Bruno Lüdke berichtet, grinsend, beflissen, naiv. Oft mit der Willigkeit eines Kindes, das sich ein Fleißbillett verdienen will, dann wieder mit der grausigen Freude eines Sadisten, der die Tat noch einmal nachgenießt, indem er sie in allen Einzelheiten schildert.
Das Reichsjustizministerium fordert die Akten an. Konferenz hinter verschlossenen Türen. Es geht darum, ob man die Sonderkommission auflöst, den Mörder liquidiert und seine Taten mit einem Federstrich erledigt, oder ob man die Ermittlungen weiterführen soll.
Dafür sind das Justizministerium und das Reichskriminalpolizeiamt.
Dagegen war bisher das RSHA – an der Prinz-Albrecht-Straße.
Plötzlich ändert diese Behörde ihren Standpunkt. Plötzlich ist das Reichssicherheitshauptamt dafür, den Fall Lüdke nicht nur mit polizeilicher Routine zu klären, sondern den Mörder auch noch verschiedenen psychologischen und psychiatrischen Versuchen zu unterziehen.
Warum?
Die Erklärung findet sich in einer winzigen Aktennotiz. Himmler will Bruno Lüdke benutzen, um nach dem Krieg unter Hinweis auf diesen Fall alle Schwachsinnigen zu ermorden.
Eine ›Lex Lüdke‹ soll geschaffen werden. Jeder, der geistig zurückgeblieben ist, mag er harmlos sein oder nicht, soll nach dem Krieg von Staats wegen getötet werden. Zu dieser typisch nationalsozialistischen Wahnidee sollen Wissenschaftler die ›Berechtigung‹ liefern.
Kriminalkommissar Franz erhält den Befehl, die Ermittlungen so sorgfältig wie möglich weiterzuführen. Gleichzeitig werden ihm Psychologen und Psychiater zugeteilt, die Bruno Lüdke genau unter die Lupe nehmen und ihre Tests mit dem Mörder anstellen.
So entsteht der ›Münchener Fragebogen‹, ein einmalig interessantes Dokument. Er wird hier, im Auszug, wörtlich wiedergegeben:
Frage an Bruno Lüdke: »Wie viele Tage hat das Jahr?«
Antwort: »Weeß ick nicht.«
»Wie viele Tage hat der Monat?«
»Det weeß ick ooch nicht.«
»Wie viele Stunden hat der Tag?«
»24 Stunden.«
»Wie wird eine Minute eingeteilt?«
»Der große Zeijer muß uff de Zwölf sein und der kleene uff der Sechs.«
»Wann sind die Tage lang, und wann sind siekurz?«
»Im Sommer sind se länger, und im Winter sind se kürzer.«
»Wann beginnen Sommer, Herbst und Winter?«
»Frühling am 21. März, Sommer 24. Juli, Herbst 21. September und Winteranfang ooch am 21. September.«
»Wie heißt die Hauptstadt von Deutschland, und wie viele Einwohner hat sie?«
»Det weeß ick ooch nicht.«
»An welchem Fluss liegt sie, woher kommt dieser Fluss, und wohin fließt er?«
»Spree und die Dahme, die kommt von Müggelsee, und se stoßen beide zusammen an die Dammbrücke in Köpenick.«
»Wie heißen die Erdteile?«
»Süden, Osten, Norden, Westen.«
»Wie reist man nach Amerika?«
»Da muß man mit de Bahn bis nach Kiel fahren, und da sind die Dampfer, und da muß man sich lassen übersetzen.«
»Wie hieß der letzte Kaiser von Deutschland?«
»Det war Willem der Zweete.«
»Wie hieß der erste deutsche
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