Nachts
Zaunpfosten«, sagte er zu ihr.
»Zähl sie.«
Er zählte. Er konnte vier ganz und eine fünfte teilweise erkennen, obwohl die struppigen Hinterbeine des Hundes diese fast völlig verdeckten.
»Und jetzt sieh dir das hier an.«
Sie legte das vierte Polaroidbild vor ihn. Jetzt konnte er die fünfte Latte ganz und einen Teil der sechsten sehen.
Also wußte er oder glaubte , er würde eine Kreuzung zwi
schen einem sehr alten Trickfilm und einem dieser >Daumenkinos< sehen, die er in der Schule gemacht hatte, wenn er zuviel Zeit hatte.
Die letzten fünfundzwanzig Sekunden des Bands waren tatsächlich so, aber Kevin fand, daß seine Daumenkinos der zweiten Klasse eigentlich besser gewesen waren die mutmaßliche Bewegung des Boxers hatte glatter gewirkt. Die letzten fünfundzwanzig Sekunden des Videobands waren die Bewegungen so ungelenk und ruckartig, daß die alten Filme mit den Keystone Cops im Vergleich dazu wie Wunder moderner Filmkunst wirkten.
Doch das Zauberwort war Bewegungen, und das schlug alle, einschließlich Pop, in seinen Bann. Sie sahen sich die Minute Film dreimal wortlos an. Außer ihrem Atem war kein Laut zu hören: Kevin atmete schnell und flach durch die Nase, sein Vater tiefer, Pops Atem war ein verschleimtes Rasseln in der schmalen Brust.
Und die ersten dreißig Sekunden oder so
Er vermutete, daß er Bewegung erwartet hatte; die Daumenkinos zeigten Bewegung, und die Zeichentrickfilme Samstagsvormittags,
die im Grunde genommen nichts weiter als etwas kompliziertere Versionen dieser Daumenkinos waren, zeigten ebenfalls Bewe
gung, aber er hatte nicht erwartet, daß es die ersten dreißig Sekunden des Bands nicht so sein würde, als würde man die Seiten eines Notizblocks rasch umblättern oder einen primitiven Zeichentrickfilm wie Possible Passum im Fernsehen sehen: Dreißig Sekunden lang (achtundzwanzig, genauer gesagt) sahen seine einzelnen Polaroidbilder auf unheimliche Weise wie ein echter Film aus. Kein HollywoodFilm, nicht einmal ein billiger HorrorFilm, wie er ihn auf Megans Drängen manchmal ausleihen mußte, wenn ihre Eltern abends ausgingen; es war mehr wie das Stück eines selbstgedrehten Films, den jemand gemacht hatte, der gerade eine Super8Kamera bekommen hatte und noch nicht richtig damit umgehen konnte.
In den ersten achtundzwanzig Sekunden ging die schwarze Promenadenmischung mit kaum wahrnehmbarem Rucken am Zaun entlang und gab den Blick auf fünf, sechs, sieben Zaunlatten frei; sie hielt sogar einmal inne und schnupperte an einer anderen, wo
mit sie scheinbar ein weiteres geheimnisvolles Hundetelegramm las. Dann ging der Hund weiter, dem Kopf zum Zaun hin gesenkt, die Hinterfüße zur Kamera gerichtet. Und nach der Hälfte dieses ersten Teils fiel Kevin etwas auf, das er vorher nicht bemerkt hatte.
Der Fotograf hatte die Kamera offenbar gedreht, damit er den Hund im Visier behielt. Wenn er (oder sie) das nicht getan hätte, wäre der Hund einfach aus dem Bild gelaufen, und allein der Zaun wäre zurückgeblieben. Die Latten am rechten Rand der ersten Bilder verschwanden, links tauchten neue auf. Das konnte man sehen, weil die Spitze einer der Latten ganz rechts abgebrochen gewesen war.
Diese war jetzt nicht mehr im Bild.
Der Hund fing wieder an zu schnuppern und dann hob er den Kopf. Sein unversehrtes Ohr stellte sich auf; dasjenige, welches bei einem längst vergessenen Kampf verletzt und lahmgelegt worden war, versuchte dasselbe. Es war kein Laut zu hören, doch Kevin spürte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, daß der Hund zu knurren angefangen hatte. Der Hund witterte etwas oder jemanden. Was oder wen?
Kevin betrachtete den Schatten, den sie anfangs als den eines Zweigs oder Baums oder möglicherweise Telefonmasten abgetan hatten, und wußte es.
Er fing an, den Kopf zu drehen und da fing die zweite Hälfte dieses seltsamen >Films< an, dreißig Sekunden ruckartiger Bewegungen, von denen man Kopfschmerzen und tränende Augen bekam. Pop hatte eine Ahnung gehabt, dachte Kevin, vielleicht hatte er auch schon einmal über so etwas gelesen gehabt. Wie auch immer, es war bewiesen und so eindeutig, daß man es eigentlich nicht mehr aussprechen mußte. Als die Bilder kurz nacheinander aufgenommen worden waren wenn auch nichf unbedingt aufeinander folgend, waren die Bewegungen in diesem behelfsmäßigen >Film< fast fließend. Nicht ganz, aber fast. Aber wenn mehr Zeit zwischen den Fotos lag, tat das Ansehen dem Auge weh, weil es entweder ein bewegliches Bild
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