Nachts
Fleischwülste um den Mund, die Falten und Lappen bildeten, aber Haut war es nicht. Es sah gefährlich aus. Dann bewegte sich das Fleisch um den Mund herum irgendwie, und ich fing an zu schreien. Da war es vorbei. Alles war vorbei. Es war wieder nur Ardelia, die mich ansah und lächelte wie eine hübsche, neugierige Katze.
>Keine Bange<, sagt sie. >Du mußt es nicht sehen, Davey. Das heißt, solange du tust, was ich dir sage. Solange du zu den guten Babys gehörst. Solange du dich benimmst. Heute abend bin ich sehr glücklich, weil der alte Narr endlich nicht mehr i st. Der Stadtrat wird mich zu seiner Nachfolgerin ernennen, und dann kann ich endlich schalten und walten wie ich will.< Gott stehe uns allen bei, dachte ich mir, sagte es aber nicht. Das hätten Sie auch nicht, wenn Sie dieses Ding mit den glotzenden r oten Augäpfeln draußen auf dem Land in einer Hängematte neben sich liegen gesehen hätten, wo niemand einen schreien hören konnte, und wenn man sich die Lunge herausgebrüllt hätte.
Eine Weile später ging sie ins Haus und kam mit zwei großen Gläsern Scotch zurück, und ich war wenig später wieder zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, wo einen absolut nichts kümmert.
Sie ließ die Bibliothek eine Woche geschlossen >aus Respekt vor Mr. Lavin<, wie sie sich ausdrückte, und als sie wieder aufmachte, hing Rotkäppchen wieder an der Tür der Kinderbibliothek.
Eine oder zwei Wochen danach sagte sie mir, ich solle ihr ein paar neue Plakate für die Kinderbibliothek malen.«
Er machte eine Pause, dann fuhr er mit leiserer, bedächtigerer Stimme fort.
»Ein Teil von mir möchte auch heute noch alles beschönigen, möchte meinen Anteil daran in besserem Licht darstellen. Ich würde Ihnen gerne erzählen, daß ich mit ihr gestritten habe, ihr sagte, ich wollte nichts damit zu tun haben, kleinen Kindern Angst zu machen aber das wäre gelogen. Ich habe, ohne zu zögern, gemacht, was sie von mir verlangte. Gott steh mir bei, so ist es. Teilweise, weil ich mittlerweile Angst vor ihr hatte. Aber größtenteils, weil ich einfach süchtig nach ihr war. Und da war noch etwas. Ich hatte einen gemeinen, bösen Teil in mir ich glaube nicht, daß der in jedem von uns steckt, aber in vielen , dem gefiel, was sie trieb.
Gefiel.
Jetzt werden Sie sich wahrscheinlich fragen, was ich getan habe, aber ich kann Ihnen wirklich nicht alles erzähle n. Ich kann mich nicht erinnern. Alles ist durcheinander, so wie kaputte Spielsa
chen, die man der Heilsarmee schickt, nur damit man die elenden Dinger endlich vom Speicher bekommt.
Ich habe niemanden umgebracht. Diesbezüglich bin ich mir ganz sicher. Sie wollte es und ich hätte es fast getan aber zuletzt habe ich doch gekniffen. Nur aus diesem Grund konnte ich weiter
leben, weil es mir am Ende gelang, von ihr fortzukriechen. Sie hat einen Teil meiner Seele behalten vielleicht den besten , aber sie hat sie nie völlig besessen.«
Er sah Naomi und Sam nachdenklich an. Jetzt schien er ruhiger, gefaßter zu sein; vielleicht hatte er sogar Frieden mit sich selbst ge
funden, dachte Sam.
»Ich erinnere mich, wie ich eines Tages im Herbst ‘59 ich glaube jedenfalls, es war ‘59 hingegangen bin und sie mir sagte, ich sollte noch ein Plakat für die Kinderbibliothek für sie machen. Sie be
schrieb mir genau, was sie wollte, und ich ging bereitwillig darauf ein. Ich konnte nichts Unrechtes darin sehen. Ich hielt es sogar für ziemlich komisch. Sehen Sie, sie wollte von mir das Bild eines Kin
des, das mitten auf der Straße von einer Dampfwalze plattgefahren worden war. Darunter sollte stehen: ÜBERMUT TUT SELTEN
GUT! BRINGT EURE AUSGELIEHENEN BÜCHER RECHTZEITIG
ZURÜCK!
Ich hielt es für einen Witz, als würde der Koyote den Roadrunner verfolgen und dabei von einem Güterzug oder so was plattgefah
ren werden. Daher sagte ich, klar doch. Sie schnurrte vor Zufrie
denheit. Ich ging in ihr Büro und malte das Plakat. I ch brauchte nicht lange, schließlich war es nur ein Cartoon.
Ich dachte, es würde ihr gefallen, aber es gefiel ihr nicht. Sie zog die Brauen zusammen, und ihr Mund verschwand fast. Ich hatte einen Trickfilmjungen mit Kreuzen statt Augen gezeichnet, und als Scherz zeichnete ich noch eine Sprechblase für den Fahrer der Dampfwalze. >Wenn ihr eine Briefmarke hättet, könntet ihr ihn wie eine Postkarte verschicken«, sagte er.
Sie lächelte nicht einmal. >Nein, Davey<, sagt sie, >du verstehst nicht. Dadurch werden die Kinder ihre Bücher nicht rechtzeitig
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