Nachts
hat rote, leuchtende Pickel auf der Stirn. Er ist nicht groß, sondern mittelgroß und hat außerordentlich breite Schultern. Er trägt keinen Trenchcoat, sondern einen Übermantel, was sehr seltsam ist, denn es ist ein heißer Sommertag in St. Louis. Seine Augen könnten silbern sein; Weißsamchen kann ihre Farbe nicht erkennen, weil der Bibliothekspolizist eine kleine runde Sonnenbrille trägt die Brille eines Blinden.
Er ist nicht der Bibliothekspolizist! Er ist der Wolf! Vorsicht! Er ist der Wolf! Der Bibliotheks WOLF!
Aber Weißsamchen hört es nicht, Weißsamchen hat keine Angst.
Immerhin herrscht strahlender Sonnenschein, und die Stadt ist voll von seltsamen und manchmal lustigen Typen. Er hat sein ganzes Leben in St. Louis verbracht und keine Angst. Das wird sich gleich ändern.
Er geht auf den Mann zu, und beim Näherkommen sieht er die Narbe: eine dünne weiße Linie, die hoch auf der linken Wange anfängt, unter dem linken Auge verläuft und sich bis über den Nasenrücken zieht.
Halb, Junge, sagt der Mann mit der runden schwarzen Brille.
Hallo, sagt Weißsamchen.
Macht essss dir etwasss ausss, mir von dem Buch da zu ersssählen, ehe du reingehssst? fragt der Mann. Seine Stimme ist leise und höflich und kein bißchen bedrohlich. Seine Stimme ist manchmal von einem leisen Lispeln befallen, das ab und zu ein S in einen langgezogenen Zischlaut verwandelt. Weissst du, ich arbeite für die Bibliothek.
Es heißt Der schwarze Pfeil, sagt Weißsamchen höflich, und ist von Mr. Robert Louis Stevenson. Der ist tot. Er ist an TupperKuhLosegestorben. Es war sehr gut. Es sind ein paar tolle Kämpfe darin vorgekommen.
Der Junge wartet darauf, daß der Mann mit der runden schwarzen Brille beiseite tritt und ihn einläßt, aber der Mann mit der runden schwarzen Brille tritt nicht beiseite. Der Mann bückt sich nur, damit er ihn eingehender betrachten kann. Großvater, was für kleine, runde schwarze Augen du hast.
Noch eine Frage, sagt der Mann. Issst dein Buch überfällig?
Jetzt hat Weißsamchen etwas mehr Angst.
Ja aber nur ein wenig. Nur vier Tage. Sehen Sie, es war ziemlich lang, und ich habe Jugendligatraining und die Tagesstätte und
Komm mit mir, Junge ich bin Poliziiissst.
Der Mann mit der schwarzen Brille und dem Mantel streckt eine Hand aus. Im ersten Augenblick will Sam weglaufen. Aber er ist ein Kind; dieser Mann arbeitet für die Bibliothek. Dieser Mann ist Polizist. Plötzlich ist dieser Mann dieser furchteinflößende Mann mit der Narbe und der runden schwarzen Brille ganz Autorität. Und vor der Autorität kann man nicht weglaufen; sie ist überall.
Sam geht schüchtern auf den Mann zu. Er hebt die Hand die mit dem Päckchen roter Lakritze, das j etzt fast leer ist , doch in letzter Sekunde vesucht er, sie zurückzuziehen. Zu spät. Der Mann ergreift sie. Das Päckchen Bull’s Eyes Lakritze fällt auf den Weg. Weißsamchen wird in seinem ganzen Leben keine rote Lakritze mehr essen.
Der Mann zieht Sam zu sich, so wie ein Fischer sein Netz einzie
hen würde. Die Hand, welche die von Sam umklammert, ist sehr kräftig. Sie tut weh. Sam fängt an zu weinen. Die Sonne scheint noch, das Gras ist noch grün, aber plötzlich scheint die ganze Welt fern zu sein, nicht mehr als ein grausames Trugbild, an das er eine kurze Weile glauben durfte.
Er kann SenSen im Atem des Mannes riechen. Bekomme ich Ärger, Sir? fragt er und hofft mit jeder Faser seines Wesens, daß der Mann nein sagen wird.
Ja, sagt der Mann. Ja, den bekommst du. GROSSEN Ärger. Und wenn du den Ärger vermeiden willssst, mussst du genau machen, wasss ich dir sssage. Verssstanden?
Sam kann nicht antworten. Er hat noch nie solche Angst gehabt.
Er kann den Mann nur mit großen, tränenden Augen ansehen.
Der Mann schüttelt ihn. Verssstanden, oder nicht?
Jja? keucht Sam. Er verspürt einen fast unerträglichen Druck in der Blase.
Ich will dir genau ssssagen, wer ich binnnn, sagt der Mann und atmet Sam kleine SenSenWölkchen ins Gesicht. Ich bin der Bibliothekspoliziiisssst von Briggs Ävenue, und meine Aufgabe issssst es, Jungsssss und Mädelsssss zu bestrafen, die ihre Bücher zu sssspät zurückbringen.
Weißsamchen fängt an, lauter zu weinen. Ich habe fünfundneunzig Cent! Die können Sie haben! Die können Sie alle haben!
Er versucht, das Kleingeld aus der Tasche zu ziehen. Im selben Augenblick dreht sich der Bibliothekspolyp um, und plötzlich ist sein Gesicht scharf geschnitten, plötzlich das Gesicht eines Fuchses oder
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