Nachtsafari (German Edition)
den Vorwurf von Arroganz ein, doch das störte ihn nicht.
Der Eindruck war der eines Mannes, mit dem zu rechnen war. Warum also konnte er seinem Vater nicht die Stirn bieten? Warum genügte der bloße Gedanke an diesen alten Mann, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen? Er konnte das nicht verstehen.
Voller Unruhe musterte er sich noch einmal, und plötzlich, wohl durch eine Lichtspiegelung, meinte er hinter seinem Gesicht das seines Vaters zu erkennen.
Der gleiche kantige Schnitt, aber die Haut gelblich fahl und faltig, das Haar weiß, der Mund, schmaler als seiner, eingefasst durch tiefe Kerben. Und die Augen aus schwarzem Stein. Nicht wie seine. Der einzige Trost.
Er wusste tief in seinem Inneren, wo er sich selbst nicht mehr belügen konnte, dass er erst sein eigenes Leben leben konnte, wenn sein Vater tot war. Endlich gestorben. Eine explosive Mischung aus Frustration und brennender Wut schoss in ihm hoch, die sofort in bleierner Hilflosigkeit versank. Der Alte war bei guter Gesundheit, seine Aussicht, noch zehn, fünfzehn Jahre zu leben, war hoch. Zehn, fünfzehn Jahre, während deren er ihn weiter schika nieren würde.
Aber das würde er nicht noch einmal zulassen, schwor er sich. Diese Sache würde er allein durchziehen. Es musste endlich Schluss sein. Ein für alle Mal. Auch Silkys wegen. Er umklammerte das Telefon.
Die Pausenmusik verstummte endlich, eine weibliche Stimme tönte aus dem Hörer und verscheuchte vorübergehend seine Dämonen.
»Ich brauche zwei Plätze auf dem ersten Flug nach Südafrika, der von München abgeht. Ob Johannesburg oder Kapstadt als Ankunftsort ist mir egal, Hauptsache ist, ich komme so schnell wie möglich dorthin. Von da aus muss ich den nächsten Anschlussflug nach Durban erreichen.«
Während er auf die Antwort wartete, entlud sich seine Anspannung in einem Schweißausbruch. Kalte Nässe breitete sich unter den Armen aus, unter dem Pullover klebte ihm sein Hemd unangenehm auf der Haut. Kurzerhand schaltete er das Telefon auf Lautsprecher und zog Pullover und Hemd aus. Unter Druck schwitzte er immer, deswegen hielt er stets einen Vorrat an frischen Hemden im Büro bereit. Er holte eins aus dem Schrank neben der Tür, riss mit den Zähnen die Plastikverpackung auf und schüttelte das Hemd heraus. Gerade als er es in die Jeans steckte, meldete sich die Angestellte des Reisebüros wieder und teilte ihm mit, dass es für die nächsten zwei Wochen von München aus keine freien Plätze mehr gebe. Nicht einmal in der ersten Klasse. Südafrika sei ein sehr beliebtes Ziel und meist schon Wochen und Monate im Voraus ausgebucht. Besonders zwischen den Jahren gebe es keine Chance, einen Platz zu bekommen.
»Total überbraten«, sagte die Frau. »Überbucht«, setzte sie als Erklärung hinzu. »Ellenlange Wartelisten. Auch für Business und First.«
»Egal wie, ich muss nach Durban«, knurrte Marcus.
Nach hektischem Hin und Her gelang es ihm, für Mittwoch zwei Plätze in der Businessclass von Frankfurt aus zu ergattern. Der Preis allerdings ließ ihn trocken schlucken. Doch er hatte keine Wahl.
»Okay«, erwiderte er. »Noch mal zur Bestätigung. Die Plätze sind für Mittwoch, den 4. Januar, Businessclass. Ich will am Fenster sitzen, nicht in der Mittelreihe. Stellen Sie die Rechnung an mich aus und schreiben Sie vertraulich auf den Umschlag.« Er hoffte, dass er auf diese Weise die Miltenberg davon abhalten konnte, den Brief zu öffnen.
Nachdem er den Pullover wieder übergestreift hatte, suchte er aus einer Liste die billigste Vorwahl für Südafrika heraus und wählte die Nummer der Mine. Den Manager, Rob Adams, erreichte er zwar, aber der Anruf stellte sich als äußerst frustrierend heraus. Der Mann behauptete, keine Ahnung zu haben, wovon Marcus redete, und als der massiv wurde, faselte er etwas von schlechtem Empfang, weil er in ein Funkloch geraten sei. Sekunden später war die Verbindung unterbrochen. Marcus stand mit dem rauschenden Hörer in der Hand da. Durch die verdächtige Reaktion überzeugt, dass der Mann alles nur vorgetäuscht hatte, um irgendetwas zu verbergen, brüllte er ein paarmal ins Mikrofon. Anschließend wählte er noch einmal, bekam aber nur das Besetztzeichen. Wütend knallte er das Telefon zurück auf die Ladestation und ließ seine Faust auf den Schreibtisch krachen. Wenigstens brachte ihn der Schmerz wieder einigermaßen zur Besinnung, und er überlegte, ob er Silky anrufen sollte, um ihr mitzuteilen, dass sie die Verlobungsfeier wegen
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