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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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ans Fenster und lehnte die Stirn ans kalte Glas. Sein Vater besaß achtzig Prozent der Firma, ihm gehörten die restlichen zwanzig und der Titel Geschäftsführer. Praktisch jedoch hatte er keinerlei Entscheidungsgewalt, war nichts weiter als ein kleiner Angestellter. Sein Vater befahl, er musste gehorchen. Sollte sein Hauptkunde ausfallen, geriet die Firma ins Trudeln, und dafür würde sein Vater ihm die Schuld geben. Ganz gleich, was der tatsächliche Grund war. Seit sein Vater sich vor vielen Jahren von seinem Amt als Richter zurückgezogen hatte, richtete er seine geballte Aufmerksamkeit nur auf ihn, sodass sich Marcus oft vorkam wie ein im Scheinwerferkegel gebanntes Wild. Und solange das so war, würde die Spitzmaus ihn überwachen. Reglos starrte er hinaus in das trübe Winterwetter. Den ganzen Tag war es nicht richtig hell geworden. Es war gerade früher Nachmittag, trotzdem war es praktisch schon dunkel. Er hasste diese Jahreszeit, vermisste Licht und Wärme und den klaren, weiten Himmel, vermisste Luft zum Durchatmen. Zwar würde es ab jetzt aufwärtsgehen, die Tage würden wieder länger werden, quälend langsam zwar, aber er bil dete sich krampfhaft ein, dass sich das Licht schon verändert hatte, die Sonne, wenn sie denn mal schien, heller war und man ihre Strahlen spürte.
    Doch heute war davon überhaupt nichts zu bemerken. Seit Tagen lastete eine graue Wolkendecke auf der Stadt, eisiger Ostwind heulte um die Häuserecken und zerrte an den Schirmen der Passanten. Abwesend beobachtete er die graue Masse Mensch, die als geduckter Schatten durch den trüben Schein der Straßenlaternen huschte. Lange stand er so da, die Lippen zusammengepresst, die Hände noch immer zu Fäusten geballt. Seine Gedanken rasten im Kreis. Verbissen mühte er sich, Ordnung in das Chaos zu bringen. Er beleuchtete die Situation von allen Seiten, versuchte, dem tonnenschweren Schatten seines Vaters zu entkommen, die kalte Stimme nicht zu hören, die ihm Schmerzen verursachte, als wäre sie ein Messer. Auf seiner Seele hatte sich über die Jahre ein dichtes Narbengewebe gebildet.
    Irgendwann durchlief ihn ein Ruck. Langsam öffneten sich seine Hände, er kehrte in die Gegenwart zurück. Nach einem letzten Blick in die Düsternis wandte er sich vom Fenster ab. Es gab keine Alternative. Er musste nach Südafrika fliegen, sich vor Ort selbst ein Bild machen, was da los war. Und er musste dringend seinen Bedarf an seltenen Erden durch andere Minen ab decken, vielleicht sogar neue Geschäftsbeziehungen aufbauen. Die Flüge würde er selbst buchen. Nur so konnte er verhindern, dass Frau Miltenberg seinen Vater umgehend von seinen Plänen informierte.
    Die Nummer des Reisebüros hatte er in seinem Telefon gespeichert. Er rief sie auf und wählte. Und wartete. Lange.
    Obwohl es ihm für gewöhnlich durch eiserne Selbstkontrolle gelang, nicht zu viel über seinen Vater nachzugrübeln, brach sein Sicherheitswall in diesem Augenblick zusammen, und das Gesicht, das ihn bis in seine Träume verfolgte, tauchte vor ihm auf. Die mitleidlosen, glitzernd schwarzen Augen, diese Maske steinerner Verachtung, mit der Henri Bonamour schon dieje nigen einzuschüchtern pflegte, die einst im Gericht vor ihm auf der Anklagebank saßen. Und immer hatte er gnadenlos die vom Gesetz erlaubte Höchststrafe verhängt. Allein der Gedanke daran löste in Marcus ein nervöses Flattern aus. Unbewusst griff er sich an die Kehle, hasste sich dafür, dass er noch im Alter von neununddreißig Jahren auf diese Weise reagierte und diesem Gefühl von Ohnmacht nichts entgegensetzen konnte.
    Er hob seinen Blick und sah sich seinem Spiegelbild im Fensterglas gegenüber. Ein breitschultriger Mann schaute ihn an. Eins sechsundachtzig groß, kantiges Gesicht, braune Augen – glücklicherweise die seiner Mutter, nicht die glitzernd schwarzen seines Vaters, die undurchsichtig und hart wie Stein waren –, kur zes, dunkelbraunes Haar. Muskulös, obwohl er nun, da ihm sein Vater die Leitung der Firma übertragen hatte, wenig Zeit hatte, Golf zu spielen oder im Fitnessstudio zu trainieren. Joggen im Winter war ihm ein Graus. Für ihn war das eine Strafe und kein Vergnügen, denn seine Neigung, sich freiwillig so zu quälen, war sehr gering ausgebildet. Trotzdem waren seine Schultern noch immer breit, Arme und Beine die eines Sportlers, der Blick ruhig und entschlossen. Sein Gesicht verriet wenige Emotionen, das wusste er, er hatte sich das antrainiert. Das brachte ihm ge legentlich

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