Nachtsafari (German Edition)
einsetzte.
Ein lang gezogener Schrei von der Tonlage und Intensität einer Feuersirene veranlasste sie, mit einem Ruck hochzuschießen. Was sie allerdings sofort bereute, denn ihr Kopf kollidierte mit einer sehr harten Kante, was zur Folge hatte, dass es wieder Sterne regnete. Abermals gellte dieser grausige Schrei in ihren Ohren, schmerzhaft lautes Gelächter, und dann absurderweise Vogelgezwitscher. Widerwillig hob sie die Lider.
Im Raum herrschte Dämmerlicht. Wurde es Morgen, und wenn ja, welcher? Oder zog die Nacht auf? Aus dem Sternennebel schälte sich ein dunkles Gesicht. Funkelnd schwarze Augen, gelbe Zähne zu einem Grinsen gebleckt, ein knochiger Finger, der in der langen Nase bohrte. Gleichzeitig spürte sie, dass jemand sie an den Haaren zog. Kräftig.
»Lass das«, fauchte sie und fasste sich an den Kopf, erwischte etwas, was sich wie ein Hühnerfuß anfühlte. Ein Hühnerfuß, der sich an ihrer Hand festkrallte? Sie schielte zur Seite. Der Hühnerfuß war dunkelgrau mit schwarzen Nägeln. Noch funktionierte ihr Gehirn nicht wie gewünscht, und sie brauchte eine Weile, ehe sie begriff, dass ein junger Pavian auf ihrer Brust saß und sie vergnügt an den Haaren riss.
Sie schrie, der Affe schrie. Vor Schreck schlug sie um sich, das Tier machte einen Satz, und das Gewicht auf ihrer Brust verschwand. Verwirrt und zittrig dachte sie darüber nach, wie ein Pavian in ihr Schlafzimmer gelangt sein könnte, bis ihr bruchstückweise einfiel, was passiert sein musste, bevor sie im Sternenregen versunken war.
Doch sosehr sie auch versuchte, die Bruchteile des Puzzles zu einem Ganzen zu fügen, es gelang ihr nicht. Nur dass sie sich nicht in ihrem Schlafzimmer befand, begriff sie. Nervös betastete sie ihre Umgebung. Sie lag auf einer harten, unebenen Unterlage in einem klaustrophobisch engen Raum, der aber zumindest am Fußende nach außen hin offen war. Eine Art Höhle? Es erinnerte sie unangenehm an den Tag, als man sie in die Röhre eines Mag netresonanztomografen geschoben hatte, und an den unerwar teten und heftigen Anfall akuter Platzangst, der sie damals getroffen hatte.
Sie streckte einen Arm hoch und berührte das Dach. Überraschenderweise war es weich gepolstert, die Seitenwände auch. Frustriert schloss sie wieder die Augen, um in Ruhe darüber nachzudenken, wo sie sich befinden könnte, aber ein quietschendes Geräusch riss ihr den Kopf hoch.
Stöhnend stützte sie sich auf ihre Ellbogen, registrierte nebenbei, dass es mittlerweile so dunkel war, dass sie so gut wie nichts mehr erkennen konnte, und es demnach wohl eher später Abend war als frühmorgens. Das bestätigte sich, als der Mond durch die Wolken brach, ihre Umgebung in geisterhaftes Licht tauchte und sie sich Auge in Auge mit einem ausgewachsenen Pavian sah, der sich an der Außenseite ihrer Höhle zu schaffen machte. Erschrocken dämmerte ihr, dass sie sich nicht in ihrem Bett befinden konnte. Sie sah hoch und bemerkte verwirrt, dass Sitze über ihr hingen, und ihr wurde bewusst, dass sie im Geländewagen lag, und zwar auf der Innenseite vom Dach. Ihr Blick flog durch den Wagen. Das Dach war tief eingedrückt, durch den schmalen Spalt, der zwischen Sitzen und Dach verblieb, konnte sie sehen, dass die Frontscheibe geborsten war und die Seitenfenster – das Ende der vermeintlichen Röhre – ebenfalls. Und dieser Riesenaffe da draußen war damit beschäftigt, einen Teil der zerquetschten Motorhaube abzubrechen.
Eine Bilderkaskade von den vorangegangenen Ereignissen stürzte mit großer Brutalität auf sie nieder. Innerhalb von Sekunden war sie schweißgebadet. Inzwischen hatte der Pavian Erfolg. Das Metall riss mit einem entsetzlichen Kreischen, woraufhin ihr sofort klar wurde, dass der Schrei, den sie gehört hatte, kein menschlicher gewesen war, sondern reißendes Metall. Der Pavian schien so begeistert von seiner Tat, dass er sich sofort daranmachte, ein weiteres Stück Metall zu demontieren. Der junge Affe, der auf ihrer Brust gesessen hatte, war auf das Armaturenbrett gehüpft und schwenkte triumphierend etwas Glitzerndes. Silke platzte der Kragen.
»Jetzt habe ich aber die Faxen dicke«, zischte sie, packte ein Kühlelement, das direkt neben ihrem Kopf gelandet war, und schleuderte es nach dem Affen. Es verfehlte zwar sein Ziel, aber das Tier ließ das glitzernde Ding fallen und verschwand mit einem empörten Schrei aus ihrem Blickfeld.
Silke nahm das nicht mehr wahr. Wie hypnotisiert starrte sie auf dieses metallisch
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