Nachtsafari (German Edition)
ungezogene Bengel über Motorhaube und Dach tobte, war den beiden klar, dass sie niemals rechtzeitig im Camp ankommen würden.
Silke löste ihren Gurt, um sich am Knöchel zu kratzen, wo sie irgendein Insekt gestochen hatte. »Die merken doch bestimmt, wenn jemand fehlt?« Sie hielt ihr Handy hoch, um irgendwo auch nur einen Balken Empfang zu bekommen. »Nichts. Nicht mal ein kurzes Zucken. Meinst du nicht auch, dass die abends durchs Camp gehen und die Autos zählen oder so?«
»Das kann ich mir nicht denken. Aber ich bin sicher, wenn wir verspätet dort erscheinen, werden sie uns noch einlassen.«
»Ja, natürlich, da wirst du recht haben. Ich hab uns beide hier schon mutterseelenallein mitten in der afrikanischen Savanne übernachten sehen, um uns herum Elefanten, hungrige Löwen … was?«, schrie sie voller Schreck auf, als Marcus urplötzlich den Fuß auf die Bremse rammte, dass der SUV noch meterweit über die Sandstraße und voll in einen dichten Dornenbusch rutschte. Silke klammerte sich mit der rechten Hand an den Sitz, die linke stemmte sie gegen das Armaturenbrett. Fingerlange Dor nen kratzten quietschend über das Metall, ehe der Wagen, leicht auf die Seite geneigt, zum Stehen kam.
»Was ist passiert?«, rief sie. »Ich konnte mich gerade noch abstützen, sonst wäre ich mit dem Kopf durch die Scheibe geknallt. Musste das so hart sein?«
Stumm deutete Marcus durch die Windschutzscheibe nach vorn. Vor ihrem Kühler ragte ein dickes, graues Hinterteil aus dem Busch in den Weg. Der Schwanz mit der haarigen Quaste wedelte aufgeregt.
Silke sah genauer hin. »Das ist doch ein Nashorn, oder? Kannst du nicht einfach langsam daran vorbeifahren?«
Marcus versteifte sich auf einmal, seine Fingerknöchel auf dem Lenkrad wurden weiß. »Nein«, flüsterte er und zeigte auf die andere Straßenseite. »Das ist kein Nashorn. Das ist ein Elefantenjunges, und da kommt seine Mutter.«
Eine Elefantenkuh trat auf die Straße und schnaubte. Das Junge quiekte, trabte zu ihr und wurde liebevoll begrüßt und zur Sicherheit unter den Bauch seiner Mutter geschoben. Zwei andere weibliche Elefanten folgten ihr und flankierten Mutter und Kalb. Sofort folgte ein weiterer grauer Koloss, ein ausgewachsener Bulle, und noch einer, bis eine geordnete, lange Reihe der Dickhäuter über den Weg zog. Jeder blieb stehen, schwang seinen Rüssel in ihre Richtung und sog den fremden Geruch ein, marschierte aber bald weiter an ihnen vorbei.
»Wir rühren uns nicht vom Fleck, sind mucksmäuschenstill«, murmelte er ihr ins Ohr, »sonst erschrecken sie, und das kann höchst unerfreulich für uns werden.«
Doch dann geschah es. Drei der Elefanten drängten sich auf einmal ungestüm aus der Reihe. Sie teilten sich auf, zwei marschierten zum Heck des Autos, der dritte blieb vor dem Kühler stehen. Die drei waren nicht ganz so groß wie der alte Bulle, jedoch deutlich neugieriger.
»Das sind Jungbullen«, wisperte Marcus. »Praktisch ausgewachsen, aber nichts als Unfug im Kopf.«
Mit dem Rüssel betasteten die beiden hinter dem Auto den rückwärtigen Scheibenwischer, zogen daran wie übermütige Jugendliche und entdeckten bald, dass es einen lauten Knall gab, wenn der Wischer zurück an die Scheibe schnappte. Das wiede rum erweckte offenbar großes Interesse, denn die Dickhäuter wie derholten den Spaß, bis der Scheibenwischer mit einem Knacks abbrach.
»Marcus«, wimmerte Silke.
»Scht.« Er nahm ihre Hand. »Ganz ruhig. Das sind Hooligans, die sollte man nicht reizen. Wenn die über die Stränge schlagen, wird’s gefährlich. Wenn wir uns ruhig verhalten, ziehen die bald ab.«
Silke vergaß nachzufragen, woher er diese Weisheit hatte. Sie war zu sehr damit beschäftigt, ihre aufsteigende Panik im Zaum zu halten. Ihr Tinnitus, der sie ohnehin schon quälte, steigerte sich ins Unerträgliche.
Nach und nach tauchten immer mehr Elefanten auf, und die wanderten nicht friedlich in den Busch. Von den Aktivitäten der drei jüngeren Bullen angelockt, blieben sie stehen und umkreisten das Auto.
»Es müssen fast hundert sein.« Marcus’ Worte waren nur ein Hauch.
»Ich habe Angst.« Ihre Stimme gehorchte ihr kaum, sie war schweißüberströmt.
Eine Handvoll der grauen Riesen, die bereits vorbeigezogen waren, kehrten aus dem Busch zurück, unter ihnen ein riesiger Bulle mit meterlangen Stoßzähnen. Langsam und bedächtig inspizierten sie den Geländewagen, schlugen beim Anblick seiner Insassen erregt mit den Ohren und schwangen
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