Nachtsafari (German Edition)
unschlüssig die Rüssel hin und her. Abgerissene Blätter und Sand wurden hochgewirbelt, die Luft war erfüllt von rumpelnden Geräuschen und dem Quieken der Jungen.
Besonders die drei jungen Bullen bekundeten großen Forscher geist. Bald hatte einer von ihnen den Außenspiegel am Wickel. Er zerrte, drehte und bog ihn hin und her, bis er abbrach und ihm vor die Füße fiel. Er beschnupperte ihn, schnaufte, schubste ihn mit dem Rüssel hin und her. Schließlich hob er lang sam seinen Fuß, dessen Sohle die Größe einer Bratpfanne hatte, setzte ihn auf den Spiegel und zermalmte ihn zu Splittern, die er anschließend neugierig mit seinem Rüssel betastete. Dabei bohrte sich ein Splitter in seine empfindliche Nase. Er schlug erschrocken mit den Ohren, schüttelte seinen Rüssel, um den Splitter loszuwerden, und stieß einen wütenden Schrei aus.
Marcus sog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein und packte Silkes Hand. »Beweg dich nicht.«
»Kannst du nicht jemanden anrufen und Hilfe holen?«, wimmerte sie und drückte sich tief in ihren Sitz.
»Wen denn? Ich kann doch nicht die Polizei holen.«
»Warum nicht? Die haben schließlich Waffen. Oder noch besser, ruf die Ranger an, die sollen die Biester verjagen. Die haben sogar Maschinengewehre.«
»Die würden eher uns erschießen als ihre kostbaren Elefanten«, war die lapidare Antwort.
»Hast du denn keine Notfallnummern bekommen?« Wie Marcus hatte Silke ihre Stimme so weit gesenkt, dass sie sich gegenseitig nur knapp verstehen konnten.
Er schüttelte millimeterweise den Kopf. »Ich hab nur die von der Hauptverwaltung in Pietermaritzburg, wo wir gebucht haben. Vielleicht können die uns weiterhelfen, vielleicht zur Rezeption vom Hilltop durchstellen.« Hastig blätterte er durch seine Kontakte und fand die Nummer. Die Tastentöne dröhnten laut wie Glockenschläge, und er zuckte zusammen. »Nichts«, sagte er und stellte die Tastentöne ab. »Es ist Wochenende, da ist kein Büro besetzt. Außerdem haben wir hier offenbar nur sporadischen Empfang.«
»O Gott, was ist das?« Silke klammerte sich an seine Hand und stierte auf ihr Seitenfenster.
Wie eine graue Wand schob sich gerade ein alter Elefantenbulle davor und fummelte am Türgriff herum. Es klapperte laut. Sie schrie in Todesangst auf, der Elefant langte noch einmal zu. Die Tür knirschte, und die Panik in ihr kochte über. Sie drehte durch.
In einer völlig sinnlosen Geste warf sie, um sich zu schützen, die Arme hoch. »Hau ab!«, kreischte sie, so laut sie konnte. »Hau ab!«
Marcus warf sich blitzartig über sie und hielt ihr den Mund zu, aber es war zu spät. Der Bulle stellte die Ohren hoch, schwang seinen Rüssel von Seite zu Seite, tänzelte zwei, drei Schritte zurück und dann wieder vor.
»Der kommt! Schnall dich an. Schnell!«, zischte Marcus.
Aber Silke rührte sich nicht, sondern starrte dem riesigen Elefanten wie hypnotisiert entgegen. In letzter Sekunde langte Marcus über sie hinweg, und es gelang ihm, ihren Sitzgurt zu schlie ßen. Als das Schloss zuklickte, schwang der Bulle sein rechtes Vorderbein und trat gegen die Wagentür. Der SUV schaukelte heftig von einer Seite zur anderen wie ein Ruderboot auf hoher See.
In Silkes Kopf drehte sich grellweißes Licht. Sie öffnete ihren Mund und schrie wie von Sinnen.
Das durchdringende Geräusch aber schien den Bullen restlos in Rage zu versetzen. Wieder tänzelte er zurück, dieses Mal wesentlich weiter und senkte kurz den massigen Kopf. Mit einem gellenden Trompetenstoß, der Silke vollends ausrasten ließ, klappte er die Ohren zurück an seinen Körper, rollte den Rüssel schneckenförmig auf und stürmte auf sie zu.
Unaufhaltsam, ein schreiender, grauer Koloss auf Kollisionskurs. Bruchteile von Sekunden später verdunkelte seine graue Masse ihr Fenster. Silke schloss die Augen, saß da mit gesenktem Kopf, fest in den Klauen ihrer eigenen Todesangst, und erwartete versteinert ihr Ende.
Sechs Tonnen blindwütiger Elefant donnerten gegen ihre Tür, es krachte, das Metall faltete sich zusammen, als wäre es Papier. Der Geländewagen kippte langsam zur anderen Seite, wippte noch ein, zwei Mal kurz und blieb liegen. Silke wurde mit dem Oberkörper über Marcus’ Sitz geworfen, der Ganghebel bohrte sich in ihre Seite, ihr Kopf prallte hart gegen das Lenkrad. Glück licherweise hielt ihr Gurt.
Absurderweise tuckerte der Motor noch, was offenbar den Elefantenbullen erneut in Rage versetzte, denn er stieß einen markerschütternden
Weitere Kostenlose Bücher