Nachtsafari (German Edition)
dauernd angestarrt hat. Und jetzt tut er es wieder. So als würde er uns kennen, und das kann ja schließlich nicht sein. Langsam wird mir das unheimlich. Sieh mal unauffällig hin.«
Mit einem nachsichtigen Lächeln kam Marcus ihrer Aufforderung nach. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte er wie jemand, der zu Tode erschrocken war, aber das war so schnell vor bei, dass Silke es kaum mitbekam, vor allen Dingen, weil Marcus sich plötzlich in einem fürchterlichen Hustenanfall vornüberkrümmte. Hastig zerrte er sein Taschentuch aus der Hosentasche und hustete so heftig hinein, dass seine Ohren rot wurden.
»Entschuldige … muss ’ne Fliege verschluckt haben«, krächzte er, das Gesicht immer noch im Taschentuch vergraben. »Muss was trinken.« Damit sprang er ins Auto, schnappte sich seinen Buschhut, drückte ihn sich tief in die gerötete Stirn und klappte die Sonnenblende herunter. Eine Hand mit dem Taschentuch weiter aufs Gesicht gedrückt, startete er den Wagen.
Silke vergaß die Wilderer-Patrouille und stieg ebenfalls ein. »Was war denn das?«, fragte sie mehr verblüfft als verwirrt.
»Wie ich sagte, muss wohl eine Fliege verschluckt haben«, er hustete abermals und fuhr durch das Tor des Centenary Centre hinaus. »Steckt mir immer noch im Hals.«
Silke fiel auf, dass er ziemlich angegriffen wirkte. Die Röte war aus seinem Gesicht gewichen und hatte eine fleckige Blässe hinterlassen. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, die er wiederholt mit dem Taschentuch abwischte. Es wird wohl diese brutale Hitze sein, nahm sie an. Obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren lief, brannte die fast senkrecht stehende Sonne durch die Windschutzscheibe und sorgte dafür, dass auch ihr der Schweiß herunterlief.
»Du wolltest doch was trinken.« Sie hob eine Flasche Mineralwasser aus der Kühltasche und reichte sie ihm. »Hier.«
Schweigend, mit abwesender Miene den Kopf schüttelnd, wehrte er ihr Angebot ab, schaute stattdessen lange in den Rückspiegel.
»Hast du Angst, dass uns der Löwe oder ein Elefant verfolgt?«, frotzelte sie.
Seine Reaktion war unerwartet. »Sei mal einen Augenblick ruhig, ich muss nachdenken.«
So verdutzt war sie, dass sie widerspruchslos tat, was er verlangte, obwohl ihr die Frage auf der Zunge brannte, worüber er nachdenken musste. Ungeduldig biss sie sich auf die Lippen. Sein Gesichtsausdruck verriet ihr nichts. Keine Emotion, nur kalte Konzentration. Lediglich die Finger seiner rechten Hand trommelten einen lautlosen Wirbel auf dem Lenkrad.
»Okay«, sagte er irgendwann. »Alles klar.« Er nahm ihr die Flasche ab, trank ein paar Schlucke und gab sie zurück.
»Was ist klar? Worüber musstest du so intensiv nachdenken? Lass mich daran teilhaben.«
»Ich habe einen Schatten gesehen, wo kein Schatten sein konnte«, war die überraschende Antwort.
»Einen Schatten?« Ihr Blick strich rasch über den Busch und die sonnenbeschienene Sandstraße. Kein Lebewesen war zu sehen. »Ich kann nichts erkennen. Du siehst Gespenster. Vermutlich ist hinter uns irgendein Tier über die Straße gesprungen und hat einen Schatten geworfen.«
»Kann sein, kann aber auch nicht sein. Ich glaube, da war jemand.«
Verwirrt drehte sie sich zu ihm. »Jemand?«
»Genau wie dir hat mir dieser eine Kerl von der Wilderer-Patrouille auch nicht gefallen.«
»Wie sollte der denn so schnell hinter uns hergekommen sein?«, fiel sie ihm ungläubig ins Wort. »Außerdem hat er doch nichts mit uns zu tun.«
Flüchtig sah er zu ihr hinüber, wirkte dabei sehr angespannt. »Man kann nie vorsichtig genug sein.«
»Was bitte meinst du damit? Überleg doch mal. Der Mann kann schließlich nicht fliegen, und wäre er uns mit dem Wagen gefolgt, hätten wir den auf jeden Fall gehört. Du musst dich geirrt haben.«
»Na, hab ich dann wohl. Muss eine Täuschung gewesen sein«, beendete er ziemlich abrupt das Thema.
Ein verschwommenes Gefühl von Bedrohung beschlich sie. Die Kälte, die sie überfallen hatte, als er ihr mitgeteilt hatte, dass sie die Verlobungsfeier absagen mussten, kroch jetzt wieder in ihr hoch. Marcus war seit zweieinhalb Jahren der Mensch, dem sie bedingungslos vertraute, ihr unverrückbarer Halt, nachdem ihr Vater so jäh das seelische Fundament zerstört hatte, auf dem sie ihr Leben bis dahin gebaut hatte. Jetzt war auch dieser Halt gelockert, sie schwamm in einem Meer widerstreitender Gefühle, wusste nicht mehr, was sie glauben sollte, was wahr war und was nicht. Wusste nicht mehr, ob sie in
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