Nachtschicht
Verdammten heulen und klagen und die in der Dunkelheit poltern und herumtappen. Es sind …«
»Kommen Sie, Mrs. Cloris«, half ich nach. »Sie haben schon so viel gesagt, nun bringen Sie endlich zu Ende, was Sie begonnen haben.«
Ein sonderbarer Ausdruck aus Entsetzen, Gekränktheit und - ich könnte darauf schwören - religiöser Ehrfurcht huschte über ihr Gesicht. »Manche sterben nicht«, flüsterte sie. »Manche leben im Zwielicht dazwischen, um - Ihm zu dienen!«
Und das war das Ende. Ich versuchte noch ein paar Minuten lang, mehr aus ihr herauszuholen, doch sie wurde nur immer verstockter und wollte nichts mehr sagen. Schließlich gab ich es auf, da ich fürchtete, sie möge sich sonst aufraffen und das Haus verlassen.
Dies ist das Ende der einen Episode, doch es sollte eine weitere am nächsten Abend folgen. Calvin hatte unten ein Feuer angefacht, während ich im Wohnzimmer saß, eine Ausgabe des Intelligencer vor mir, und dem Geräusch des windgepeitschten Regens lauschte, der gegen das große Erkerfenster prasselte. Es war so gemütlich, wie es nur sein kann an einem solchen Abend, wenn draußen alles trostlos und drinnen alles warm und behaglich ist, doch dann erschien einen Augenblick später Cal in der Tür. Er sah aufgeregt und ein bißchen nervös aus.
»Sind Sie wach, Sir?« fragte er.
»Kaum noch. Was gibt’s?«
»Ich habe oben etwas gefunden, das Sie sehen sollten, wie ich meine, antwortete er mit dem gleichen Ausdruck unterdrückter Erregung.
Ich erhob mich und folgte ihm. Als wir die breite Treppe hinaufstiegen, meinte Calvin: »Ich war im oberen Studierzimmer und las gerade in einem Buch - ein recht merkwürdiges Buch-, als ich ein Geräusch in der Wand hörte.«
»Ratten«, gab ich zurück. »Und das ist alles?«
Calvin blieb am Ende der Treppe stehen und sah mich ernst an. Die Lampe, die er in der Hand hielt, warf unheimliche, bedrohliche Schatten auf die dunklen Vorhänge und die schattenhaften Portraits, die jetzt nicht mehr zu lächern, sondern eher boshaft zu grinsen schienen. Draußen erhob sich der Wind zu einem flüchtigen Schrei und verstummte dann widerwillig.
»Keine Ratten«, widersprach Cal. »Es war ein dumpfes Poltern und Tappen, das von irgendwo hinter den Bücherregalen kam, und dann folgte ein gräßliches Gurgeln - wirklich gräßlich, Sir. Und ein Kratzen, als ob irgend etwas versuchte, herauszukommen und … und sich auf mich zu stürzen!«
Du kannst Dir mein Erstaunen vorstellen, Bones, denn Calvin ist ganz sicher nicht der Typ, der zu hysterischen Phanta-stereien neigt. Langsam gewann ich den Eindruck, daß es hier doch irgendein Geheimnis gab - ein Geheimnis, das vielleicht tatsächlich garstig war.
»Und dann?« wollte ich wissen. Wir gingen den Gang hinunter, und ich konnte sehen, daß aus dem Studierzimmer Licht auf den Boden der Galerie fiel. Ich registrierte es mit einem Gefühl der Beklemmung; der Abend schien keineswegs mehr gemütlich.
»Das Kratzen hörte auf. Einen Augenblick später fingen wieder diese dumpfen, schlurfenden Geräusche an, doch diesmal bewegten sie sich von mir weg. Einmal brach es ab, und ich kann beschwören, daß ich ein seltsames, fast unhörbares Lachen vernahm! Ich ging zum Bücherregal und fing an zu drücken und zu ziehen, weil ich dachte, daß es dort vielleicht ein Geheimfach oder eine Geheimtür geben könnte.«
»Und - hast du eine gefunden?«
Cal blieb vor der Tür zum Studierzimmer stehen. »Nein - aber ich habe dies hier gefunden!«
Als wir eintraten, sah ich ein quadratisches schwarzes Loch im linken Regal. Die Bücher an dieser Stelle waren nichts weiter als Attrappen, und was Cal entdeckt hatte, war ein kleines Versteck. Ich leuchtete mit meiner Lampe hinein, sah aber nichts außer einer dicken Staubschicht, Staub, der Jahrzehnte alt sein mußte.
»Da drinnen war nur das«, erklärte Cal ruhig und reichte mir ein verblichenes Stück Papier. Es handelte sich um eine Karte, die in hauchdünnen schwarzen Tintenstrichen gezeichnet war - die Karte einer Stadt oder eines Dorfes. Es umfaßte etwa sieben Gebäude, und unter einem, das deutlich mit einem Turm gekennzeichnet war, standen die Worte: Der Wurm Der Verderben Bringt.
In der oberen linken Ecke war ein Pfeil, der in die Richtung zeigte, die der Nordwesten dieses kleinen Dorfes gewesen sein muß, und unter ihm stand: Chapelwaite.
»Im Ort, Sir«, fuhr Calvin fort, »erwähnte jemand abergläubisch ein verlassenes Dorf namens Jerusalem’s Lot, von dem
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