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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Geruch von Jahrhunderten1 und der jahrhundertealten Verwesung. Ein Geruch, wie er vielleicht von vermoderten Särgen oder geschändeten Gräbern ausgeht.
    Ich hielt mir mein Taschentuch vor die Nase. Cal folgte meinem Beispiel, und dann nahmen wir den Ort in Augenschein.
    »Mein Gott, Sir …« sagte Calvin leise.
    »Es ist nie angerührt worden«, beendete ich den Satz für ihn.
    Und so war es tatsächlich. Tische und Stühle standen da wie geisterhafte Wächter, verstaubt und verzogen von den extremen Temperaturunterschieden, für die das Klima Neuenglands bekannt ist, aber im übrigen unversehrt - als ob sie durch schweigende, widerhallende Jahrzehnte hindurch darauf gewartet härten, daß jene schon lange Verstorbenen wieder hereinkommen, nach einem Krug Bier rufen, Karten austeilen und ihre Tonpfeifen anzünden. Neben den Wirtshausvorschriften hing ein kleiner, viereckiger Spiegel, der nicht zerbrochen war. Begreifst Du, was das bedeutet, Bones? Kinder sind für ihre Neugier und ihre Zerstörungswut bekannt; es gibt nicht ein »Geisterhaus«, dessen Fenster noch heil wären, ganz gleich, welche Schauermärchen man sich über seine unheimlichen Bewohner erzählt; nicht einen verlassenen Friedhof, auf dem nicht wenigstens ein Grabstein von jugendlichen Unruhestiftern umgestürzt worden ist. Sicher gibt es in Preacher’s Corners, das keine zwei Meilen von Jerusalem’s Lot entfernt liegt, eine ganze Reihe solcher Jugendlicher. Und doch war der Spiegel des Gastwirts (der ihn eine hübsche Summe gekostet haben muß) unversehrt - genau wie die übrigen zerbrechlichen Gegenstände, die wir bei unserem Stöbern fanden. Der einzige Schaden in Jerusalem’s Lot ist durch die unpersönlichen Kräfte der Natur angerichtet worden. Die Implikation ist offenkundig: Jerusalem’s Lot ist ein gemiedener CM. Aber warum? Ich habe da eine Ahnung, aber bevor ich auch nur wage, eine Andeutung in dieser Beziehung zu machen, muß ich vom beunruhigenden Ende unseres Besuchs berichten.
    Wir begaben uns nach oben in die Schlafquartiere, wo wir gemachte Betten fanden, neben denen zinnerne Wasserkrüge standen. Die Küche war ebenfalls unberührt, abgesehen vom Staub der Jahre und jenem entsetzlichen, intensiven Geruch nach Verwesung. Das Wirtshaus wäre ein Paradies für jeden Antiquar gewesen; allein der ungewöhnliche Küchenofen hätte auf einer Bostoner Auktion einen hübschen Preis erzielt.
    »Was meinst du, Cal?« fragte ich, als wir wieder hinaus in das diffuse Tageslicht getreten waren.
    »Ich glaube, daß es mit etwas Bösem zu tun hat, Mr. Boone«, erwiderte er in seiner düsteren Art, »und daß wir mehr sehen müssen, um mehr zu erfahren.«
    Wir untersuchten die übrigen Geschäfte nur flüchtig - unter ihnen ein Krämerladen, ein Lagerhaus, in dem Eichen- und Kiefernholz gestapelt war, sowie eine Schmiede.
    Auf unserem Weg zur Kirche, die im Zentrum des Ortes lag, gingen wir in zwei Häuser hinein. Beide waren sie ganz nach puritanischer Mode eingerichtet und voll von Gegenständen, für die ein Sammler seinen Arm gegeben hätte, beide waren verlassen und erfüllt von dem gleichen fauligen Geruch.
    Außer uns schien hier nichts zu leben oder sich zu bewegen.
    Wir sahen weder Insekten noch Vögel oder auch nur Spinnweben in irgendeiner Fensterecke. Nur Staub.
    Endlich erreichten wir die Kirche. Sie ragte hoch über uns in den Himmel, düster, kalt und wenig einladend. Hinter den Fenstern gähnten schwarze Schatten aus dem Innern, und jede Gottheit oder Heiligkeit hatte diesen Ort schon vor langer Zeit verlassen, dessen bin ich gewiß. Wir stiegen die Stufen hinauf, und ich legte die Hand auf den großen, eisernen Türgriff. Ich warf einen finsteren, entschlossenen Blick auf Calvin und sah dann wieder vor mich. Wann mochte diese Tür wohl zum letztenmal geöffnet worden sein? Ich bin sicher, daß meine Hand die erste seit bestimmt fünfzig Jahren - wenn nicht länger - war, die sie berührte. Rostige Angeln kreischten, als ich sie aufzog. Der Geruch nach Fäulnis und Verwesung, der uns entgegenschlug, war fast greifbar. Cal stieß einen würgenden Laut aus und drehte sich unwillkürlich nach frischer Luft herum.
    »Sir«, fragte er, »sind Sie wirklich …?«
    »Ich bin schon in Ordnung«, erwiderte ich ruhig, doch so ruhig fühlte ich mich ganz und gar nicht, Bones, genauso wenig wie jetzt. Ich glaube mit Moses, mit Jerobeam und mit unserem guten Hanson (wenn er in Philosophierlaune ist), daß es geistig ungesunde Orte oder

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