Nachtschicht
Gebäude gibt, wo die Milch des Kosmos sauer und ranzig geworden ist. Diese Kirche ist ein solcher Ort, darauf könnte ich schwören.
Wir traten in ein langes Vestibül, das mit einem staubigen Kleiderständer und Regalen mit Gesangbüchern ausgestattet war. Es war fensterlos; hier und da standen Öllampen in Nischen. Ein ganz gewöhnlicher Raum, dachte ich, bis ich hörte, wie Cal scharf die Luft einsog und ich sah, was er bereits entdeckt hatte.
Es war eine Obszönität.
Ich wage das kunstvoll gerahmte Bild nicht näher zu beschreiben als wie folgt: daß es im fleischigen Stil von Rubens gemalt war; daß es eine groteske Karikatur einer Madonna mit dem Kind darstellte und daß im Hintergrund seltsame, schemenhafte Kreaturen krochen und krabbelten.
»Mein Gott«, flüsterte ich.
»Hier gibt es keinen Gott«, sagte Calvin, und seine Worte schienen in der Luft zu hängen. Als ich die Tür öffnete, die in die eigentliche Kirche führte, wurde der Geruch zum Miasma und nahezu überwältigend.
Im schwachen Dämmerlicht des Nachmittags erstreckten sich die Kirchenstühle geisterhaft bis hin zum Altar. Über ihnen befand sich eine hohe Kanzel aus Eichenholz und ein Narthex, aus dem Gold schimmerte.
Mit einem Laut, der fast wie ein Schluchzen klang, bekreuzigte sich der fromme Protestant Calvin, und ich folgte seinem Beispiel. Das, was da so golden schimmerte, war nämlich ein großes, prachtvoll geschmiedetes Kreuz - aber es war verkehrt herum aufgehängt, das Symbol der Satansmesse.
»Wir müssen ruhig bleiben«, hörte ich mich sagen. »Wir müssen ruhig bleiben, Calvin. Ganz ruhig.«
Aber ein Schatten hatte mein Herz getroffen, und ich fürchtete mich so sehr, wie ich mich noch nie in meinem Leben gefürchtet hatte.
Ich bin unter dem Schirm des Todes gegangen und habe gedacht, daß es nichts Dunkleres gibt. Aber ich habe mich geirrt. Es gibt etwas, das noch dunkler ist.
Wir gingen den Gang hinunter, und unsere Schritte hallten über uns und um uns herum: Wir hinterließen Spuren im Staub. Am Altar entdeckten wir andere kleinere Kunstgegenstände, aber ich will - und kann - meine Gedanken nicht auf ihnen verweilen lassen.
Ich machte mich daran, die Kanzel hinaufzusteigen.
»Tun Sie es nicht, Mr. Boone!« rief Cal plötzlich. »Ich habe Angst …«
Aber ich war bereits oben. Auf dem Pult lag ein großes Buch, das in Latein und in unleserlichen Runen geschrieben war, die für mein laienhaftes Auge nach druidisch oder vorkeltisch aussahen. Ich lege dem Brief eine Karte mit ein paar der Symbole bei, die ich aus dem Gedächtnis nachgezeichnet habe.
Ich schloß das Buch und betrachtete die Worte, die in das Leder geprägt waren: De Vermis Mysteriis. Meine Lateinkenntnisse sind zwar schon etwas angestaubt, reichten aber immer noch zur Übersetzung aus: Die Geheimnisse des Wurmes.
Als ich es berührte, schienen sich diese verfluchte Kirche und Calvins weißes, zu mir aufblickendes Gesicht vor mir zu drehen. Ich glaubte, leise, singende Stimmen zu hören, Stimmen, erfüllt von gräßlicher und heftiger Furcht. Ich zweifle nicht daran, daß es sich um eine Halluzination gehandelt hat - aber im selben Augenblick erfüllte ein sehr reales Geräusch die Kirche, das ich nicht anders als ein gewaltiges und grausiges Winden unter meinen Füßen beschreiben kann. Das Lesepult erzitterte unter meinen Fingern, und das entweihte Kreuz bebte an der Wand.
Wir gingen gemeinsam hinaus, Cal und ich, und überließen den Ort seiner eigenen Finsternis, und keiner von uns wagte, zurückzuschauen, bis wir die groben Planken überquert hatten, die über den Fluß führten. Ich will nicht sagen, daß wir die neunzehnhundert Jahre, die der Mensch gebraucht hat, um sich von einem gebückt gehenden und abergläubischen Wilden fortzuentwickeln, mit Füßen getreten haben, indem wir gerannt sind; aber ich wäre ein Lügner, wenn ich behaupten wollte, wir seien gemächlich davongeschlendert.
Dies ist meine Geschichte. Es ist überflüssig, daß Deine Genesung von der Angst überschattet wird, das Fieber habe mich wieder befallen; Cal kann all das, was ich Dir hier auf diesen Seiten berichtet habe, bestätigen, einschließlich des gräßlichen Geräusches.
Ich schließe nun und möchte nur noch sagen, daß ich mir wünsche, mit Dir sprechen zu können (weil ich weiß, daß ein Großteil meiner Verwirrung sofort von mir abfallen würde) und verbleibe als Dein Freund und Bewunderer
CHARLES.
17. Oktober 1850
Sehr geehrte Herren,
in
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