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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dem Teppich zwischen Ihnen und mir liegen zwanzigtausend Dollar. In dieser Stadt wurden Leute schon wegen zwanzig Cents ermordet.«
    »Worum zocken wir denn?«
    Er lächelte gequält. »Wetten, Mr. Norris, wetten. Gentlemen wetten. Plebejer zocken.«
    »Wie Sie meinen.«
    »Ausgezeichnet. Sie haben sich eben meinen Balkon betrachtet.«
    »Sie haben den Windschutz abgenommen.«
    »Ja, heute nachmittag. Ich schlage folgendes vor: Sie gehen auf dem Mauervorsprung unter meiner Wohnung um das Gebäude herum. Wenn Sie das Gebäude ohne Zwischenfall umrunden, gehört der Jackpot Ihnen.«
    »Sie sind verrückt.«
    »Im Gegenteil. Während der zwölf Jahre, die ich in dieser Wohnung schon verbracht habe, wurde diese Wette sechs verschiedenen Leuten angeboten. Drei von ihnen waren Berufssportler, wie Sie - einer davon ein berüchtigter Footballspieler, der durch seine Werbespots im Fernsehen berühmter war als durch sein letztes Spiel. Ein anderer war Baseballspieler, der nächste ein bekannter Jockey, der ein außergewöhnliches Jahressalär bezog und außergewöhnliche Alimentenprobleme hatte. Die anderen drei waren mehr oder weniger normale Bürger, die eins gemeinsam hatten: Sie brauchten Geld und waren körperlich fit.« Nachdenklich zog er an seiner Zigarette und fuhr dann fort. »Sie hatten allerdings verschiedene Berufe. Fünfmal wurde die Wette abgelehnt. Einer akzeptierte. Die Bedingungen: Entweder bekam er zwanzigtausend Dollar, oder er mußte ein halbes Jahr umsonst für mich arbeiten. Der Junge guckte vom Balkon runter und fiel fast in Ohnmacht.« Cressner lächelte amüsiert und verächtlich zugleich. »Er sagte, auf der Straße sieht alles so klein aus, und das hat ihm den Nerv geraubt.«
    »Und wieso glauben Sie -«
    Er winkte ungeduldig ab. »Langweilen Sie mich nicht, Mr. Norris. Sie werden es tun, weil Sie keine Wahl haben. Meine Wette steht gleichzeitig gegen vierzig Jahre in San Quentin. Das Geld und meine Frau sind nur ein zusätzlicher Ansporn, ein Beweis für meine Gutmütigkeit.«
    »Und wer garantiert mir, daß Sie mich nicht betrügen? Ich tu’s vielleicht und stelle dann fest, daß Tony trotzdem die Polizei angerufen hat.«
    Er seufzte. »Sie sind ein wandelnder Fall von Paranoia, Mr. Norris. Ich liebe meine Frau nicht. Mein übersteigertes Ego duldet sie nicht mehr in meiner Nähe. Zwanzigtausend Dollar sind für mich eine Bagatelle. Ich zahle jede Woche das Vierfache allein an Schmiergeldern. Was aber die Wette anbetrifft …« Seine Augen glänzten. »Die ist unbezahlbar.«
    Ich dachte über alles nach, und er ließ mich in Ruhe. Er wußte wohl, daß ich mir über gewisse Dinge klarwerden mußte. Ich war ein sechsunddreißigjähriger Tennis-Profi, und mein Klub war bereit, mich gehen zu lassen, nachdem Marcia sanften Druck ausgeübt hatte. Ich kannte nur Tennis, und ohne Tennis hätte ich nicht einmal einen Job als Hausmeister gekriegt. Schon gar nicht mit meiner Vorstrafe.
    Natürlich Kinderkram, aber Arbeitgeber kennen keine Gnade.
    Und das Komische war, daß ich Marcia Cressner wirklich liebte. Nach zwei Tennisstunden morgens um neun Uhr hatte ich mich in sie verliebt, und ihr ging es ähnlich. Stan Norris hatte mal wieder Glück gehabt. Nach sechsunddreißig munteren Junggesellenjahren hatte ich mich wie’ ein Schüler in die Frau eines der Bosse der Organisation verliebt.
    Der alte Kater saß da. Er paffte seine importierte türkische Zigarette, und er wußte das alles natürlich. Und er wußte noch etwas. Wenn ich seine Wette akzeptierte und gewann, hatte ich nicht die geringste Garantie, daß er mich nicht dennoch der Polizei ausliefern würde. Andererseits, wenn ich nicht akzeptierte, würde ich spätestens um zehn Uhr im Knast hocken. Das wußte ich nur zu genau. Und dann würde ich etwa um die Jahrhundertwende wieder frei sein.
    »Ich will eins wissen«, sagte ich.
    »Und was könnte das sein, Mr. Norris?«
    »Sehen Sie mir ins Gesicht und sagen Sie mir, ob Sie ein Betrüger sind oder nicht.«
    Er sah mir in die Augen. »Mr. Norris«, sagte er ruhig. »Ich betrüge nie.«
    »Okay«, sagte ich. Mir blieb keine Wahl.
    Er stand strahlend auf. »Ausgezeichnet! Wirklich ausgezeichnet. Kommen Sie mit mir zur Balkontür, Mr. Norris.«
    Wir gingen zusammen hinüber. Sein Gesicht sprach Bände.
    Hundertmal hatte er sich auf diese Szene gefreut, und jetzt genoß er sie von ganzem Herzen.
    »Der Mauervorsprung ist fünfundzwanzig Zentimeter breit«, sagte er verträumt. »Ich habe ihn selbst

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