Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Mann sieht er beinahe jeden Morgen, und manchmal auch zu anderen Tageszeiten. Zum Beispiel entdeckte er ihn einmal bei Onde, wo er sich mit einem Kunden traf. Oder wie er in einem Laden in alten Schallplatten stöberte, während Morrison nach einer LP von Sam Cooke suchte. Einmal befand er sich in einer Gruppe von vier Leuten, die nach Morrison und seinen Begleitern die Runde über den örtlichen Golfplatz machten.
    Morrison betrinkt sich auf einer Party und will eine Zigarette - aber so betrunken ist er nicht, daß er tatsächlich geraucht hätte.
    Morrison besucht seinen Sohn und schenkt ihm einen großen Ball, der quietscht, wenn man darauf drückt. Sein Sohn gibt ihm einen feuchten, begeisterten Kuß. Morrison fühlt sich nicht so abgestoßen wie früher. Als er seinen Sohn umarmt, erkennt er, was Donatti und seine Leute in ihrem Zynismus viel früher begriffen haben: Die Liebe ist die machtvollste Droge von allen.
    Mögen Romantiker über die Existenz der Liebe debattieren, Pragmatiker wissen, daß es sie gibt und nutzen sie für ihre Zwecke.
    Allmählich verlieren sich bei Morrison die körperlichen Ent-zugserscheinungen, doch psychologisch macht sich oft der Wunsch nach einer’ Zigarette bemerkbar oder das Verlangen, etwas im Mund zu haben - Hustenpastillen, Lutschtabletten, einen Zahnstocher. Alles ist lediglich ein unzureichender Ersatz.
    Schließlich passierte es Morrison, daß er bei einem großen Verkehrsstau im Stadttunnel steckenblieb. Dunkelheit. Das Lärmen von Autohupen. Schlechte Luft. Er saß hoffnungslos fest. Einer jähen Eingebung folgend, öffnete er das Handschuhfach und entdeckte die angebrochene Packung Zigaretten.
    Einen Moment lang sah er sie an, dann zog er eine heraus und zündete sie mit dem Autofeuerzeug an.
    Wenn das Folgen hat, ist Cindy daran schuld, sagte er sich trotzig. Ich sagte ihr doch, sie sollte sämtliche Zigaretten wegwerfen.
    Nach dem ersten Zug mußte er fürchterlich husten. Nach dem zweiten tränten ihm die Augen. Nach dem dritten fühlte er eine Leere im Kopf, und ihm wurde schwindligJir fand, die Zigarette schmeckte scheußlich.
    Sein nächster Gedanke war: Mein Gott, was habe ich getan?
    Hinter ihm ertönte ein ungeduldiges Hupkonzert. Die Autos vor ihm hatten sich bereits in Bewegung gesetzt. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, kurbelte beide Vorderfenster herunter, schaltete die Lüftung ein und fächelte dann hilflos die Luft, wie ein Kind, das soeben die erste Zigarettenkippe in der Toilette weggespült hat.
    Unsicher fädelte er sich in den wieder fließenden Verkehr ein und fuhr nach Hause.
    »Cindy?« rief er. »Ich bin da.«
    Keine Antwort.
    »Cindy? Wo steckst du, Schatz?«
    Das Telefon klingelte, und er stürzte sich darauf. »Hallo? Cindy?«
    »Hallo, Mr. Morrison«, grüßte Donatti. Er sprach in forschem, geschäftsmäßigem Ton. »Ich glaube, wir sollten uns mal in einer kleinen geschäftlichen Angelegenheit treffen. Könnten Sie um fünf Uhr bei uns sein?«
    »Ist meine Frau bei Ihnen?«
    »Ja, sie ist hier.« Donatti stieß ein vergnügtes Lachen aus.
    »Bitte, lassen Sie sie gehen«, sprudelte es aus Morrison heraus. »Es wird nie wieder vorkommen. Es war ein Ausrutscher, bloß ein Ausrutscher, mehr nicht. Ich habe nur dreimal an der Zigarette gezogen, und, Teufel noch mal, sie hat mir nicht mal geschmeckt!«
    »Wie schade. Um fünf kann ich also mit Ihnen rechnen, ja?«
    »Bitte«, flehte Morrison, dem Weinen nahe. »Bitte -«
    Er sprach in eine tote Leitung.
    Um fünf Uhr nachmittags saß außer der Sekretärin niemand im Vorzimmer. Sie schenkte Morrison ein strahlendes Lächeln, als hätte sie seine Blässe und seine aufgelöste Erscheinung nicht bemerkt. »Mr. Donatti?« sagte sie in die Gegensprechanlage.
    »Mr. Morrison ist da.« Sie nickte Morrison zu. »Sie können hineingehen.«
    Vor dem Zimmer standen Donatti und ein Mann, der ein Sweatshirt mit dem Aufdruck BITTE LÄCHELN trug. Er hatte die Figur eines Gorillas, und in der Hand hielt er eine Pistole.
    »Hören Sie«, wandte sich Morrison an Donatti, »wir können uns doch sicher einigen, nicht wahr? Ich gebe Ihnen Geld, ich -«
    »Schnauze«, sagte der Mann im Sweatshirt.
    »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind«, begann Donatti.
    »Schade, daß unser Wiedersehen unter so unerfreulichen Umständen stattfindet. Ich darf Sie jetzt bitten, einzutreten. Wir werden es so kurz wie möglich machen. Ich verspreche Ihnen, Ihrer Frau wird nichts Ernstliches geschehen … diesmal

Weitere Kostenlose Bücher