Nachtschicht
Jahr.«
»Das glaube ich nicht«, stritt Alice rundweg ab.
»Aber sämtliche Themen kommen drin vor!«
»Trotzdem glaube ich’s nicht.« Sie gab Elizabeth die Blätter zurück. »Nur weil dieses Gespenst -«
»Er ist kein Gespenst. So darfst du ihn nicht nennen.«
»Schon gut, schon gut. Dieses schmächtige Jüngelchen hat dir doch wohl nicht eingeredet, nur dieses Zeug auswendig zu lernen und dich darauf zu verlassen, daß das genügt?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie verlegen.
»Und selbst wenn das die Klausur sein sollte, findest du dieses Vorgehen nicht unehrenhaft?«
Plötzlich stieg ein Groll in Elizabeth auf, und ehe sie sich besinnen konnte, ging das Mundwerk mit ihr durch. »Du hast gut reden. Jedes Semester wirst du für besondere Leistung gelobt, und das Studium finanzieren dir deine Eltern. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie das ist, wenn … Tut mir leid, Alice, das hätte ich nicht sagen dürfen.«
Alice zuckte mit den Schultern und schlug den Roman wieder auf. Sie setzte eine betont neutrale Miene auf. »Du hast recht, das geht mich nichts an. Aber ich an deiner Stelle würde mir zusätzlich das Lehrbuch zu Gemüte führen … um auf Nummer Sicher zu gehen.«
»Das hatte ich ohnehin vor.«
Doch in erster Linie befaßte sie sich mit den Aufzeichnungen, die ihr Edward Jackson Hamner jr. gegeben hatte.
Als sie nach der Klausur aus dem Hörsaal kam, saß er in der Vorhalle. Wieder fand sie, er sähe aus, als würde er in der grünen Militärjacke aus Drillich ertrinken. Er lächelte ihr schüchtern zu und stand auf. »Wie war’s?«
Impulsiv drückte sie ihm einen Kuß auf die Wange. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so erleichtert gewesen zu sein. »Es müßte geklappt haben.«
»Wirklich? Das ist prima. Hast du Appetit auf einen Hamburger?«
»Und ob«, erwiderte sie zerstreut. Im Geist beschäftigte sie
«ich immer noch mit der Klausur. Beinahe wortwörtlich hatte sie der entsprochen, die Ed ihr gegeben hatte, für sie war die Prüfung ein Kinderspiel gewesen.
Während sie die Hamburger verspeisten, fragte sie ihn, wie seine eigenen Klausuren liefen.
»In diesem Semester schreibe ich keine. Ich falle unter die Sonderregelung für Hochbegabte, nach der man sich Prüfungen nur freiwillig zu unterziehen braucht.«
»Warum bist du dann noch hier?«
»Ich mußte doch sehen, wie es bei dir geklappt hat, nicht wahr?«
»Ach, Ed, das war aber nicht nötig. Ich find’s lieb von dir, aber -« Der hungrige Blick in seinen Augen bekümmerte sie.
Sie war ein hübsches Mädchen, und diesen Blick hatte sie schon öfter gesehen.
»Ja, ich bin deinetwegen hiergeblieben«, sagte er leise.
»Ed, ich bin dir sehr dankbar. Wirklich, ich glaube, du hast mir mein Stipendium gerettet. Aber ich habe einen Freund, weißt du …«
»Ist es was Festes?« Es gelang ihm nicht ganz, in lockerem Ton zu sprechen.
»Ja«, antwortete sie im gleichen Tonfall. »Wir sind so gut wie verlobt.«
»Weiß er, daß er Glück hat? Weiß er, wieviel Glück er hat?«
»Ich habe auch Glück«, entgegnete sie und dachte dabei an Tony Lombard.
»Beth«, sagte er unvermittelt.
»Wie bitte?« fragte sie erschrocken.
»So nennt dich keiner, oder?«
»Wieso … nein. Nein, das sagt keiner zu mir.«
»Nicht mal dein Freund?«
»Nein -« Tony rief sie Liz. Manchmal sagte er Lizzie zu ihr, was noch viel schlimmer war.
Er beugte sich vor. »Aber am liebsten möchtest du Beth genannt werden, stimmt’s?«
Sie lachte, um ihre Verwirrung zu überspielen. »Wieso, um Himmels willen -«
»Schon gut.« Er setzte wieder sein lausbubenhaftes Grinsen auf. »Ich nenne dich Beth. Das gefällt mir viel besser. Und jetzt iß deinen Hamburger auf.«
Das erste Studienjahr ging zu Ende, und sie verabschiedete sich von Alice. Beide waren ein bißchen befangen, was Elizabeth leid tat. Die Schuld dafür suchte sie bei sich; sie hatte wirklich ein wenig zu laut gejubelt, als die Ergebnisse der Soziologieklausur bekanntgegeben wurden. Sie hatte siebenundneunzig Punkte erreicht - das beste Ergebnis der gesamten Fakultät.
Was soll’s, sagte sie sich, während sie im Flughafen darauf wartete, daß ihre Maschine aufgerufen wurde, was sie getan hatte, war nicht unehrenhafter als die sture Einpaukerei, zu der man sie gezwungen hatte. Pauken hatte mit Studieren nicht das geringste zu tun; man lernte etwas auswendig, um es gleich nach einem Examen wieder zu vergessen.
Sie betastete den Umschlag, der aus ihrer Handtasche
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