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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hervorlugte. Er enthielt die Benachrichtigung, daß man ihr für das kommende Studienjahr ein Stipendium gewährt hatte - zwei-tausend Dollar. Im Sommer wollte sie mit Tony in Boothbay, Maine, arbeiten, und mit dem Geld, das sie dort verdiente, war sie aus dem Gröbsten heraus. Dank Ed Hamner konnte sie sich auf den Sommer freuen. Sie brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen.
    Doch es wurde der traurigste Sommer ihres Lebens. 
    Der Juni war verregnet, die Benzinknappheit wirkte sich ungünstig auf den Tourismus aus, und die Gäste im Boothbay Inn geizten mit dem Trinkgeld. Am meisten machte ihr zu schaffen, daß Tony sie zum Heiraten drängte. Er sagte, er könne eine Stelle an einer Nachbaruniversität bekommen, und durch das Stipendium sei ihr Studium gesichert. Doch zu ihrem eigenen Erstaunen kam ihr diese Vorstellung eher abstoßend als verlockend vor.
    Irgend etwas stimmte nicht.
    Sie wußte nicht, was, doch etwas fehlte ihr, etwas war nicht in Ordnung, etwas behagte ihr nicht. Eines Nachts, Ende Juli, wurde sie grundlos von einem hysterischen Weinkrampf geschüttelt. Zum Glück war ihre Zimmergenossin, ein unscheinbares junges Mädchen namens Sandra Ackermann, an jenem Abend ausgegangen und noch nicht zurück.
    Den Alptraum hatte sie Anfang August. Sie lag auf dem Grund eines offenen Grabes und konnte sich nicht bewegen.
    Von einem weißen Himmel herab regnete es ihr ins Gesicht.
    Dann stand Tony über ihr, und auf dem Kopf trug er seinen gelben splitterfesten Schutzhelm.
    »Heirate mich, Liz«, sagte er und sah mit ausdrucksloser Miene auf sie hinunter. »Heirate mich, oder sonst passiert etwas.«
    Sie wollte sprechen, einwilligen; sie hätte alles getan, nur damit er sie aus diesem gräßlich feuchten Loch herausholte.
    Doch sie war wie gelähmt.
    »Na schön«, sagte er. »Du hast es nicht anders gewollt.«
    Er entfernte sich. Sie versuchte, die Starre zu überwinden, doch sie schaffte es nicht. Dann hörte sie den Bulldozer.
    Einen Moment später sah sie ihn, ein riesiges gelbes Ungeheuer, das einen Wall nasser Erde vor sich herschob.
    Aus der offenen Führerkabine blickte Tony mitleidlos hinab.
    Er wollte sie lebendig begraben.
    Gefangen in ihrem erstarrten, stummen Körper, konnte sie nur mit dumpfem Entsetzen zuschauen. Erdbrocken begannen die Wände des Lochs hinunterzurieseln -
    Eine bekannte Stimme schrie: »Geh weg! Laß sie endlich in Ruhe! Geh weg!«
    Tony taumelte vom Bulldozer und rannte fort.
    Sie verspürte eine ungeheure Erleichterung. Wenn sie dazu imstande gewesen wäre, hätte sie geweint. Ihr Retter tauchte auf, wie ein Totengräber stand er am Fußende des offenen Grabes. Es war Ed Hamner in der viel zu weiten grünen Drillichjacke, sein Haar war zerzaust, die Hornbrille bis auf den kleinen Höcker an seiner Nasenspitze heruntergerutscht. Er streckte ihr die Hand entgegen.
    »Steh auf«, sagte er sanft. »Ich weiß, was du brauchst. Steh auf, Beth.«
    Sie konnte aufstehen. Vor Erleichterung schluchzte sie. Sie versuchte, ihm zu danken, in ihrem Eifer verhaspelte sie sich.
    Ed lächelte nur freundlich und nickte dazu. Dann ergriff sie seine Hand und schaute nach unten, um nicht auszugleiten.
    Als sie wieder hochblickte, hielt sie sich an der Pfote eines riesigen, geifernden Wolfs fest. Seine Augen glühten wie rote Sturmlaternen, und der Rachen mit den kräftigen spitzen Zähnen war zum Zubeißen geöffnet.
    Mit einem Ruck saß sie kerzengerade im Bett; sie war hellwach, ihr Nachthemd war schweißdurchtränkt. Sie zitterte am ganzen Leib. Selbst nachdem sie eine warme Dusche genommen und ein Glas Milch getrunken hatte, fürchtete sie sich noch vor der Dunkelheit.
    Als sie wieder einschlief, ließ sie das Licht brennen.
    Tony starb eine Woche später.
    Sie ging im Morgenrock an die Tür, da sie dachte, es sei Tony, doch vor ihr stand Danny Kilmer, einer der Männer, mit denen er zusammenarbeitete.
    Danny war immer gut aufgelegt, mit ihm und seiner Freundin waren sie ein paarmal ausgegangen. Doch wie er nun im Flur ihres Apartments im zweiten Stock vor ihr stand, sah er nicht nur ernst, sondern regelrecht krank aus.
    »Danny?« fragte sie. »Was –« 
    »Liz«, sagte er. »Liz, du mußt jetzt sehr stark sein. Du mußt …ach Gott!«
    Er schlug mit der derben, schmutzigen Faust gegen den Türpfosten, und sie sah, daß er weinte.
    »Danny, ist was mit Tony? Ist was -«
    »Tony ist tot. Er wurde -« Er sprach in die leere Luft hinein.
    Sie war in Ohnmacht gesunken.
    Die nächste Woche

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