Nachtschicht
wirklich?«
»Ja«, bekräftigte er. »Erzähl mal. Welche Pläne hast du?«
»Morgen reise ich ab, nach Hause. Was dann kommt, weiß ich noch nicht.«
»Aber dein Studium brichst du doch nicht ab, oder?«
»Ich weiß es wirklich noch nicht. Nach dem, was passiert ist, erscheint mir alles so … so banal. Ich sehe nicht mehr viel Sinn in dem Studium. Und es würde mir keinen Spaß mehr machen.«
»Die Freude daran kommt zurück. Das kannst du dir jetzt nicht vorstellen, aber glaube mir, so wird es sein. Warte mal ab, wie dir in sechs Wochen zumute ist. Du hast doch nichts Besseres vor.« Der letzte Satz klang wie eine Frage.
»Nein, ich wüßte jedenfalls nicht, was ich sonst tun sollte. Aber … kann ich eine Zigarette haben?«
»Klar. Sind aber Mentholzigaretten. Tut mir leid.«
Sie nahm sich eine. »Woher weißt du, daß ich keine Mentholzigaretten mag?«
Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht weil du so aussiehst als ob sie dir nicht schmeckten.«
Sie lächelte. »Manchmal bist du richtig seltsam, weißt du das?«
Er deutete ein Lächeln an.
»Ja, wirklich. Daß ausgerechnet du hier auftauchen mußtest … Ich hatte geglaubt, ich wollte keinen Menschen sehen.
Aber ich bin froh, daß du gekommen bist, Ed.«
»Manchmal ist es für einen besser, mit einem Menschen zusammenzusein, der einem relativ fremd ist.«
»Ja, das mag stimmen.« Sie legte eine Pause ein. »Wer bist du, Ed, außer, daß du mein rettender Engel zu sein scheinst? Wer bist du eigentlich?« Plötzlich wollte sie unbedingt mehr über ihn wissen.
Er zuckte die Achseln. »Nichts Besonderes. Nur einer dieser komisch aussehenden Studenten, die mit einem Haufen Bücher unter dem Arm über das Universitätsgelände schleichen -«
»Ed, du siehst nicht komisch aus.«
»Doch«, widersprach er und lächelte dabei. »Ich habe nie ganz meine Pubertätsakne verloren, keine große studentische Verbindung hat sich je um meine. Mitgliedschaft gerissen, ich stand nie im Mittelpunkt einer Gesellschaft. Ich bin bloß ein Bücherwurm, der sein Studium zu einem Abschluß bringen will. Wenn die großen Firmen nächstes Frühjahr ihre Anwerber in die Universität schicken, unterschreibe ich wahrscheinlich bei einer irgendeinen Vertrag, und Ed Hainner ward nie mehr gesehen.«
»Das täte mir leid«, meinte sie leise.
Er lächelte. Es war ein eigenartiges Lächeln, beinahe bitter.
»Erzähl mir von deinen Eltern«, bat sie. »Ich möchte wissen, woher du kommst, welche Hobbies du hast -«
»Ein anderes Mal«, wich er aus. »Ich fahre dich jetzt zurück.
Morgen hast du einen langen Flug vor dir und eine Menge Hektik.«
Nach diesem Abend fühlte sie sich zum ersten Mal seit Tonys Tod entspannt. Ihr war nicht mehr zumute, als würde irgendwo in ihrem Innern eine Feder so lange aufgezogen, bis sie zersprang. Sie rechnete damit, schnell einzuschlummern, doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen.
Kleine Fragen ließen sie nicht zur Ruhe kommen.
Alice erzählte mir, was passiert war … meine arme Beth.
Aber Alice verbrachte den Sommer in Kittery, achtzig Meilen von Skowhegan entfernt. Sie mußte nach Lakewood gefahren sein, um sich ein Theaterstück artzusehen.
Der Corvette, den er fuhr, war ein diesjähriges Modell.
Teuer. Von dem Geld, das er für seinen Job hinter den Kulissen bekam, hatte er ihn nicht gekauft. Waren seine Eltern reich?
Er hatte genau das Gericht bestellt, das sie sich selbst ausgesucht hätte. Es war vielleicht das einzige auf der Speisekarte, das ihren Appetit hätte reizen können.
Die Mentholzigaretten, die Art, wie er sie geküßt hatte, als sie sich Gute Nacht sagten, genauso, wie sie geküßt werden wollte. Und-Morgen hast du einen langen Flug vor dir.
Er wußte, daß sie nach Hause abreiste, denn das hatte sie ihm erzählt. Aber woher wußte er, daß sie ein Flugzeug nahm?
Oder daß der Flug lange dauerte?
Das störte sie. Es störte sie, weil sie auf dem besten Weg war, sich in Ed Hainner zu verlieben.
Ich weiß, was du brauchst.
Wie die Stimme eines U-Boot-Kapitäns, der ständig die Tiefe ausruft, begleiteten seine Begrüßungsworte sie in den Schlaf.
Er kam nicht zu dem winzigen Flugplatz von Augusta, um sich von ihr zu verabschieden und mit ihr auf die Maschine zu warten, und sie wunderte sich, wie enttäuscht sie war. Sie dachte daran, wie unmerklich man von einem Menschen abhängig werden konnte, wie ein Süchtiger von einer Droge.
Der Kiffer lügt sich vor, er könne genausogut auf den Stoff
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