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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Münze reinwerfen und kann an klaren Tagen damit bis zum Portland-Leuchtfeuer rüberschauen. Zum Festbinden nahmen wir unsere Gürtel, und dann suchten wir abgestorbene Buschäste und Treibholz zusammen und benahmen uns dabei wie Kinder bei einer neuen Art von Versteckspiel. Die ganze Zeit, während wir herumliefen, hing oder lehnte Alvin Sackheim an dem Pfosten mit dem Fernglas und unterhielt sich murmelnd mit seiner Großmutter. Susies Augen fingen richtig an zu leuchten, und ihr Atem beschleunigte sich. Das Ganze machte sie richtig an. Als wir die Senke jenseits der Buschreihen durchstöberten, drängte sie sich mir plötzlich entgegen und küßte mich. Sie hatte zuviel Lippenstift aufgelegt, und es war genauso, als küßte man einen fertigen Teller.
    Ich stieß sie weg, und das war der Moment, als sie anfing zu schmollen.
    Wir wanderten zurück, wir alle, und stapelten trockene Äste und Zweige um Alvin Sackheim auf. Needles zündete den Scheiterhaufen mit seinem Zippo-Sturmfeuerzeug an, und schon loderten die Flammen hoch. Am Ende, kurz bevor seine Haare Feuer fingen, begann der Kerl zu schreien. Ein Geruch lag in der Luft wie nach süßem, chinesischem Schweinefleisch.
    »Hast du ‘ne Zigarette, Bernie?« fragte Needles.
    »Hinter dir liegen an die fünfzig Stangen.«
    Er grinste und zerquetschte eine Mücke, die sich auf seinem Arm niedergelassen hatte. »Ich hab’ jetzt keine Lust, mich zu bewegen.«
    Ich gab ihm was zu rauchen und ließ mich nieder. Susie und ich hatten Needles in Portland getroffen. Er hockte auf dem Bordstein vor dem State Theater und spielte Leadbelly-Songs auf einer großen alten Gibson-Gitarre, die er irgendwo hatte mitgehen lassen. Die Melodien hallten die ganze Congress Street rauf und runter, als spielte er in einem Konzertsaal. 
    Susie blieb vor uns stehen, sie war immer noch außer Atem.
    »Du bist widerlich, Bernie.«
    »Hör doch auf, Susie, Dreh die Platte um. Diese Seite stinkt.«
    »Bastard. Du saublöder, gefühlloser Hurensohn. Schwein!»
    »Verschwinde«, sagte ich, »oder ich verhelf dir zu ‘nem blauen Auge, Susie. Sag Feigling!«
    Sie fing wieder an zu weinen. Darin war sie richtig gut.
    Corey kam heran und versuchte, einen Arm um sie zu legen.
    Sie rammte ihm den Ellbogen in den Unterleib, und er spuckte ihr ins Gesicht.
    »Ich bringe dich um!« Sie stürzte sich auf ihn, kreischend und heulend, und ruderte mit den Händen in der Luft herum.
    Corey wich zurück, fiel beinahe hin, dann wandte er sich um und nahm die Beine in die Hand. Susie verfolgte ihn und kreischte hysterisch Schimpfworte hinter ihm her. Needles legte den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. Die Stimmen aus Coreys Radio durchdrangen schwach das Rauschen der Brandung.
    Kelly und Joan hatten sich von uns entfernt. Ich konnte sie unten dicht am Wasser sehen, wo sie engumschlungen dahinschlenderten. Sie sahen aus wie ein Werbefoto im Schaufenster eines Reisebüros - Machen Sie Urlaub im traumhaften St.  Lorca. Es war gut so. Zwischen ihnen schien es gut zu laufen.
    »Bernie?«
    »Was ist?« Ich saß da und rauchte und dachte über Needles nach, der sein Feuerzeug auf und zu schnippte, das Reibrad drehte und mit dem Feuerstein Feuer machte wie ein Höhlenmensch.
    »Jetzt hab’ ich’s«, sagte Needles.
    »Tatsächlich?« Ich sah ihn an. »Bist du sicher?«
    »Klar bin ich sicher. Ich hab’ Kopfschmerzen. Mein Magen tut weh. Und es brennt beim Pinkeln.«
    »Vielleicht ist es nur die Hongkong-Grippe. Susie hatte Hongkong-Grippe. Sie fragte nach einer Bibel.« Ich lachte. Das war, als wir noch die Universität besuchten, etwa eine Woche, bevor sie ganz geschlossen wurde und etwa einen Monat, bevor man die Leichen in Kipplastwagen abtransportierte und sie mit Sprengladungen in Massengräbern bestattete.
    »Sieh doch.« Er zündete ein Streichholz an und hielt es unter seinen Jochbögen. Ich konnte die ersten dreieckigen Flecken erkennen, die erste Schwellung. Es war tatsächlich A6.
    »Okay«, sagte ich.
    »Ich fühl mich gar nicht so schlecht«, meinte er. »Rein geistig, meine ich. Bei dir sieht’s wohl anders aus. Du denkst viel darüber nach. Da bin ich ganz sicher.«
    »Nein, stimmt nicht.« Eine Lüge.
    »Und wie du drüber nachdenkst. Wie dieser Kerl heute abend. Auch darüber denkst du nach. Wahrscheinlich haben wir ihm einen Gefallen getan. Ich glaube, daß er noch nicht einmal wußte, was mit ihm geschah.«
    »Er wußte es.«
    Er zuckte die Achseln und drehte sich auf

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