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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war ziemlich groß. Sie hatte einen Badeanzug mit pinkfarbenen Karos. Ich sagte ihr immer, er sähe aus wie eine Tischdecke.
    Wir waren auf dem Gehsteig vor dem Gebäude spazierengegangen, barfuß, die Bohlen heiß und sandig unter unseren Fußsohlen. Die Spezial Muschelsuppe hatten wir nie versucht.
    »Wonach hältst du Ausschau?«
    »Nach nichts. Komm weiter.«
    Ich hatte einen verschwitzten, häßlichen Traum mit Alviri Sackheim. Er hockte aufrecht hinter dem Lenkrad seines blitzenden gelben Lincoln und sprach von seiner Großmutter. Er war nicht mehr als ein aufgedunsener schwarzer Kopf und ein verkohltes Skelett. Er stank verbrannt. Er redete und redete, und nach einer Weile könnte ich kein einziges Wort mehr verstehen.
    Heftig atmend wachte ich auf.
    Susie lag auf meinen Schenkeln, blaß und aufgedunsen.
    Meine Uhr verkündete 3:50, doch sie war stehengeblieben.
    Draußen war es noch dunkel. Die Brandung donnerte und rauschte, Hochflut. Das hieß etwa 4:15 Uhr. Bald schon hell. Ich stieg aus dem Bett und ging zur Tür. Die Meerbrise umfächelte angenehm meinen erhitzten Körper. Trotz allem wollte ich nicht sterben.
    Ich ging rüber in die Ecke und holte mir ein Bier. Drei oder vier Kästen Budweiser waren an der Wand aufgestapelt. Das Bier war warm, weil es keinen Strom mehr gab. Doch ich hab’
    nichts gegen warmes Bier wie viele andere Leute. Es schäumt nur etwas stärker. Bier ist Bier. Ich ging hinaus auf den Treppenabsatz und setzte mich nieder und riß den Verschluß auf.
    Da waren wir also, die gesamte menschliche Rasse, ausgelöscht, und zwar nicht von Atomwaffen oder biologischen Kriegswaffen oder von der Umweltverschmutzung oder irgend etwas Großem. Nur von der Grippe. Ich würde am liebsten irgendwo, vielleicht in den Salzseen um Bonneville, ein riesiges Zeichen auslegen. Eine Bronzeinschrift. Drei Meilen lang. Und in mächtigen Lettern würde sie verkünden, um alle möglicherweise zur Landung ansetzenden Besucher von anderen Sternen zu warnen: NUR VON DER GRIPPE.
    Ich warf die Bierdose über das Geländer. Sie landete mit einem hohlen Scheppern auf dem Zementweg, der das Gebäude umrundete. Der Schuppen war ein dunkles Dreieck auf dem Sand. Ich überlegte, ob Needles wohl wach war. Ich fragte mich, ob ich es wäre.
    »Bernie?« Sie stand in der Tür und trug eines meiner Hemden. Ich hasse das. Sie stinkt wie ein Schwein.
    »Du magst mich nicht mehr besonders, nicht wahr, Bernie?«
    Ich erwiderte nichts. Es gab Zeiten, da empfand ich einfach für alles Mitleid. Sie verdiente mich nicht mehr, als ich sie verdiente.
    »Darf ich mich zu dir setzen?«
    »Ich glaube, für uns beide ist es nicht breit genug.«
    Sie gab einen erstickten Schluckauflaut von sich und schickte sich an, wieder ins Haus zurückzugehen.
    »Needles hat A6«, sagte ich.
    Sie verharrte und starrte mich an. Ihr Gesicht blieb sehr ruhig. »Mach keine Witze, Bernie.«
    Ich zündete eine Zigarette an.
    »Das ist unmöglich! Er hatte –«
    »Ja, er hatte A2. Hongkong-Grippe. Genau wie du und ich und Corey und Kelly und Joan.«
    »Aber das würde doch bedeuten, daß er nicht -«
    »- immun ist.«
    »Ja. Dann könnten wir es bekommen.«
    »Vielleicht hat er gelogen, als er sagte, er hätte A2 gehabt.
    Damit wir ihn damals bei uns aufnahmen«, meinte ich.
    Erleichterung machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Sicher, das ist es. An seiner Stelle hätte ich auch gelogen. Niemand ist gerne allein.« Sie zögerte. »Kommst du zurück ins Bett?«
    »Nicht gerade jetzt.«
    Sie ging hinein. Ich brauchte ihr nicht zu erklären, daß A2 keine Garantie vor A6 war. Das wußte sie. Sie hatte es nur verdrängt. Ich saß da und beobachtete die Brandung. Sie hatte tatsächlich den höchsten Punkt erreicht. Vor Jahren war Anson der einzige halbwegs anständige Ort im Staat zum Wellenreiten gewesen. Der Point war ein düsterer, kantiger Klotz gegen den Himmel. Ich dachte, ich könnte den hoch oben liegenden Beobachtungsstand erkennen, doch das war wahrscheinlich reine Einbildung. Manchmal nahm Kelly Joan dorthin mit. Ich glaube nicht, daß sie in jener Nacht dort oben waren.
    Ich legte mein Gesicht in die Hände und betastete es, spürte die Haut, ihre Körnung und Struktur. Alles verging so schnell, und es war so gemein - es lag keine Würde darin.
    Die Brandung rollte herein und herein. Endlos. Sauber und tief. Wir waren im Sommer hergekommen, Maureen und ich, im Sommer nach der-High-School, im Sommer vor dem College und vor der Wirklichkeit und

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