Nachtschicht
seine Seite. »Ist auch egal.«
Wir rauchten, und ich sah zu, wie die Brandung den Strand hinaufrollte und wieder zurückfloß. Needles hatte Captain Trips. Das ließ wieder die Wirklichkeit über uns hereinbrechen. Es war bereits Ende August, und schon in zwei Wochen würde die erste Herbstkühle sich breitmachen. Zeit, sich unter ein schützendes Dach zu verziehen. Winter. Zu Weihnachten tot, vielleicht wir alle. In irgendeinem Zimmer, daneben Coreys sündteurer Radiorecorder auf einem Regal voll mit Romanbüchern des Reader’s Digest und über allem das fahle Licht der entkräfteten Wintersonne, die sinnlose Fensterrahmenmuster auf den Teppich zeichnet.
Die Vision war so eindringlich, daß ich erschauerte. Niemand sollte schon im August an den Winter denken. Es ist genauso, als watschelte eine Weihnachtsgans über das eigene Grab.
Needles lachte. »Siehst du? Du denkst doch daran.«
Was sollte ich darauf erwidern? Ich stand auf. »Ich seh’mal nach Susie.«
»Möglich, daß wir die letzten Menschen auf der Erde sind, Bernie. Hast du jemals daran gedacht?« In dem schwachen Mondlicht sah er fast halbtot aus mit Rändern unter den Augen und bleichen, reglosen Fingern wie Bleistifte.
Ich ging hinunter zum Wasser und schaute hinaus. Dort war nichts zu sehen, außer ruhelosen, rollenden Wellenbuckeln, die von zarten Schaumkränzen bedeckt waren. Das Donnern der Brecher war hier unten überwältigend, mächtiger als die Welt. Es war, als stünde man inmitten eines Gewitters. Ich schloß die Augen und wiegte mich auf meinen nackten Füßen.
Der Sand war kalt und feucht und wie festgestampft. Und wenn wir wirklich die letzten Menschen auf der Erde waren, was machte es schon aus? Dies hier würde weitergehen, solange es einen Mond gab, der das Wasser anzog.
Susie und Corey waren am Strand. Susie ritt auf ihm, als wäre er ein widerspenstiger Hengst, der mit dem Kopf voran durch die kochenden Wellen stürmte. Corey ruderte und planschte. Sie waren beide völlig durchnäßt. Ich ging weiter und stieß sie mit dem Fuß hinunter. Corey entfernte sich wild um sich spritzend auf allen Vieren und spuckte und brüllte dabei.
»Ich hasse dich!« schrie Susie mich an. Ihr Mund war eine düster grinsende Schlange. Er sah aus wie der Eingang zu einem Kuriositätenkabinett.
Als ich noch ein Kind war, nahm meine Mutter uns Winzlinge mit zum Harrison State Park, und dort gab es ein Kuriositätenkabinett mit einem riesigen Clownsgesicht als Fassade, und man betrat die Bude durch den Mund des Clowns.
»Komm schon, Susie. Auf, Hundchen!« Ich streckte meine Hand aus. Sie griff mißtrauisch danach und erhob sich. Feuchter Sand klebte an ihrer Bluse und auf der Haut.
»Du brauchtest mich nicht wegzustoßen, Bernie. Du brauchst noch nicht einmal …«
»Komm schon.« Sie war ganz anders als eine Musikbox. Man brauchte nie eine Münze hineinzuwerfen, und niemals konnte ihr Stecker aus der Steckdose gezogen werden.
Wir wanderten über den Strand hinauf zum Kaufhaus. Der Mann, der den Laden leitete, hatte sich darüber ein kleines Apartment eingerichtet. Ein Bett stand dort. Sie hatte wirklich kein Bett verdient, doch Needles hatte darin ganz recht. Es machte keinen Unterschied. Es war gleichgültig. Niemand kümmerte sich mehr darum, wie das Spiel endete.
Die Treppe befand sich an der Außenwand des Gebäudes, doch ich blieb einen Moment stehen und betrachtete durch das geborstene Schaufenster die verstaubten Waren, die zu plündern niemand sich die Mühe gemacht hatte - stapelweise Sweatshirts (mit der Schrift »Anson Beach« und einem Bild mit viel Himmel und Wellen auf der Brust), goldglänzende Armbander, die einem schon am zweiten Tag das Handgelenk grün färbten, glitzernde Blechohrringe, Strandbälle, schmuddelige Ansichtskarten, dilettantisch bemalte Tonmadonnen, Erbrochenes aus Plastik (Täuschend echt! Erschrecken Sie damit die eigene Ehefrau!), Wunderkerzen für einen 4. Juli, der niemals mehr stattfinden würde, Strandlaken mit verführerischen Bikini-Schönheiten, die sich inmitten Hunderter Namen berühmter Seebäder räkelten, Fähnchen (Erinnerung an Anson Beach und Park), Luftballons, Badekleidung. Im vorderen Teil des Ladens war eine Imbißstube eingerichtet, in deren Fenster ein großes Schild verkündete: KOSTEN SIE UNSERE SPEZIAL MUSCHELSUPPE.
Als ich noch die High-School besuchte, war ich oft zum Anson Beach gekommen. Das war sieben Jahre vor A6, und ich ging damals mit einem Mädchen namens Maureen. Sie
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