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Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind

Titel: Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Bedermier ihn nach der Schule zu einem Zweikampf herausgefordert hatte. Die entsprechend ausgebildete Brynn hatte zunächst ganz automatisch die Verletzungen inspiziert und für harmlos befunden. »Schatz«, hatte sie dann gesagt, »manchmal muss man kämpfen, und manchmal muss man weglaufen. Meistens läuft man.«
    Also was, zum Teufel, machst du hier gerade?, herrschte sie sich nun selbst an und betrachtete den Granitbrocken in ihrer Hand.
    Lauf.
    Sie ließ den Stein fallen und setzte ihren Aufstieg zu der Privatstraße fort. Ein Stück vor dem Ziel rutschte sie aus und trat eine kleine Lawine aus Schiefer und Geröll los, die mit lautem Krachen hinabstürzte. Brynn ließ sich zu Boden fallen, roch Kompost und nassen Fels.
    Doch es kam niemand angerannt. Sie fragte sich, ob die beiden Männer nach der Schießerei wohl selbst halb taub waren.
    Vermutlich. Schusswaffen sind viel lauter, als die Leute glauben.
    Beeil dich, solange du das noch zu deinem Vorteil ausnutzen kannst.
    Wieder ein paar Schritte. Dann zehn. Zwanzig. Die Steigung war nicht mehr so steil, und Brynn kam schneller voran. Schließlich erreichte sie den Lake View Drive. Auf der Straße war niemand
zu sehen. Brynn überquerte sie eilig, rollte sich auf der anderen Seite in einen Graben und kauerte sich erschöpft zusammen.
    Nein. Nicht ausruhen.
    Sie dachte an eine Verfolgungsfahrt aus dem vergangenen Jahr. Bart Pinchett in seinem Mustang GT, gelb wie ein Eidotter.
    »Warum haben Sie nicht gleich angehalten?«, hatte sie ihn gefragt, als sie ihm Handschellen anlegte. »Sie wussten doch, dass wir Sie früher oder später erwischen würden.«
    Er hatte überrascht eine Augenbraue hochgezogen. »Nun, solange ich in Bewegung war, bin ich immerhin ein freier Mann gewesen.«
    Brynn rollte sich auf die Knie und stand auf. Dann schleppte sie sich weiter den Hügel hinauf, weg von der Straße und zwischen die Bäume, auf ein Feld aus hohem gelben und braunen Gras.
    Zwei- oder dreihundert Meter vor sich sah sie den Umriss des Hauses am Lake View Drive Nummer 2. Nach wie vor waren alle Fenster dunkel. Würde das Telefon funktionieren? Gab es dort überhaupt ein Telefon?
    Brynn schickte diesbezüglich ein kurzes Stoßgebet zum Himmel. Dann schaute sie sich um. Von den Angreifern keine Spur. Sie schüttelte abermals den Kopf, immer wieder hin und her, bis auch die zweite Wasserblase platzte.
    Wodurch das jähe Geräusch - schnelle Schritte, die im Gras genau auf sie zuhielten - nur umso deutlicher zu vernehmen war.
    Brynn erschrak und wollte vor Hart, seinem Partner oder auch allen beiden die Flucht ergreifen, blieb aber mit dem Fuß an einem Forsythienzweig hängen und stürzte so schwer, dass es ihr die Luft aus der Lunge trieb. Die Blüten überall um sie herum waren so strahlend gelb wie auf der Tapete eines Kinderzimmers.

11
    Sie fuhren von Rita zurück nach Hause, ungefähr anderthalb Kilometer weit. Es kam Graham so vor, als läge alles in Humboldt etwa anderthalb Kilometer von allem anderen entfernt.
    Er hatte Joey mitgenommen, weil er ihn nach der Skateboard-Verletzung nicht allein lassen wollte, auch wenn es ihm angeblich »gut« ging, und weil der Junge ansonsten die Hausaufgaben vernachlässigen und sich die Zeit mit Videospielen, Computer-Chats, MySpace oder seinem iPhone vertreiben würde. Joey war nicht unbedingt begeistert davon, seine Großmutter abzuholen, aber er nahm trotzdem vergnügt auf der Rückbank Platz und schickte einem Freund eine SMS - oder der halben Schule, nach dem Geräusch seiner Tipperei zu schließen.
    Sie sammelten Anna ein und kehrten heim. Dort stürmte Joey sogleich nach oben und nahm dabei mit jedem Schritt mehrere Stufen.
    »Die Hausaufgaben«, rief Graham.
    »Mach ich.«
    Das Telefon klingelte.
    Brynn?, dachte er. Nein. Die Kennung des Anrufers sagte ihm nichts.
    »Ja?«
    »Hallo. Ich bin Mr. Raditzky, Joeys Berater für die Zentralsektion.«
    Die Mittelschule ist heutzutage ganz anders als früher, dachte Graham. Er selbst hatte nie irgendwelche Berater gehabt. Und »Zentralsektion« klang wie eine kommunistische Spionageorganisation.
    »Graham Boyd. Ich bin Brynns Mann.«
    »Aha. Wie geht es Ihnen?«

    »Gut, danke.«
    »Ist Miss McKenzie da?«
    »Tut mir leid, sie ist unterwegs. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen? Oder kann ich Ihnen helfen?«
    Graham hatte stets Kinder gewollt. Zwar verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Pflanzen, doch ihm war schon immer der sehnliche Wunsch eigen gewesen, mehr als das

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