Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind

Titel: Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
Boss.
    Instinkt, denk dran.
    »Am Lake Mondac.«
    »Schalt den Motor aus. Steig aus dem Wagen.« Sollte er hineingreifen und versuchen, den Schlüssel abzuziehen? Und falls der Fuß des Jungen von der Bremse rutschte? Einer von Grahams Arbeitern war bei einer ähnlichen Aktion mal schwer verletzt worden; damals hatte der Fahrer vergessen, den Automatikhebel auf die Parkposition zu stellen, woraufhin der Wagen sich selbstständig machte. Unsere Körper haben zwei Tonnen Stahl und der Schubkraft von zur Explosion gebrachtem Benzin nichts entgegenzusetzen.
    Grahams Blick fiel auf den Sitz. Um Gottes willen. Der Junge hatte eine Luftpistole dabei - Graham erkannte das durchschlagskräftige
Modell mit dem Kipplauf. Auf kurze Distanz war sie so zielsicher wie eine 22er, und für Eichhörnchen und Ratten auch genauso tödlich. Brynn hatte ihm den Besitz von Waffen verboten. Woher hatte er das Ding?, wunderte Graham sich. Etwa gestohlen?
    »Joey! Sofort!«, befahl er barsch. »Du kannst sowieso nichts ausrichten. Deine Mutter kommt bald nach Hause. Und sie wird wütend sein, wenn du dann nicht hier bist.«
    Ein weiterer Rückzug im Wer-hat-hier-als-Elternteil-das-Sagen-Spiel.
    »Nein, sie kommt nicht. Irgendwas stimmt nicht. Ich weiß, dass irgendwas nicht stimmt.« Der Junge nahm den Fuß von der Bremse, und der Wagen rollte los.
    Ohne auch nur nachzudenken lief Graham vor den Pickup und legte beide Hände auf die Motorhaube.
    »Graham!«, rief Anna von der Tür aus. »Nein. Lass es nicht eskalieren.«
    Im Gegenteil, dachte er. Es ist höchste Zeit für eine Eskalation.
    »Steig aus dem Wagen!«
    »Ich werde Mom finden!«
    Das Einzige, was ihn derzeit noch am Leben hielt, war der nicht verschnürte Turnschuh eines Zwölfjährigen auf dem Pedal einer Bremse, die schon seit einem Jahr gewartet werden musste. »Nein, wirst du nicht. Schalt den Motor aus, Joey. Ich sage es dir nicht noch einmal.« In Grahams Jugend war das alles, was sein Vater hatte sagen müssen, um ihn zur Räson zu bringen, wenngleich es damals lediglich um Verfehlungen wie den nicht rausgebrachten Müll oder die unerledigten Hausaufgaben gegangen war.
    »Ich fahre!«
    Der Pickup rollte ein kleines Stück vor.
    Graham erschrak, rührte sich aber nicht.
    Wenn du ausweichst, hast du verloren, ermahnte er sich.

    Gleichzeitig dachte er jedoch darüber nach, wohin er springen konnte, falls der Junge das Gaspedal durchtrat. Wahrscheinlich würde er es gar nicht rechtzeitig schaffen.
    »Du hast nicht vor hinzufahren!«, brüllte der Junge. »Oder?«
    Er hätte am liebsten erwidert: Das ist nicht unsere Aufgabe. Lass die Polizei ihre Arbeit tun. Die sind die Experten. Doch stattdessen sagte er ruhig: »Steig aus dem Wagen.«
    Und war sich bewusst, dass sein Instinkt ihn womöglich gleich töten würde.
    »Gehst du sie suchen?« Joey murmelte noch etwas anderes. Graham glaubte, das Wort »Feigling« herauszuhören.
    »Joey.«
    »Geh mir aus dem Weg!«, schrie der Junge mit wildem Blick. Einen Moment lang - einen ewig scheinenden Moment lang - glaubte Graham, dass Joey aufs Gas treten würde.
    Dann verzog der Junge das Gesicht, schaute auf den Automatikhebel und schob ihn in die Parkposition. Er stieg aus und griff nach der Waffe.
    »Nein. Lass das liegen.«
    Graham ging zu dem Jungen und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Na los, Joey«, sagte er freundlich. »Lass uns …« Der Junge, der angesichts seiner Niederlage vor Wut zu kochen schien, riss sich von Graham los und rannte wortlos an seiner Großmutter vorbei ins Haus.

38
    Nachdem sie wieder mal den Kompass abgelesen hatten, setzten die Frauen ihren Weg durch einen Teil des Waldes fort, der von weniger dichtem Strauchwerk und Unterholz geprägt war
als das Gebiet rund um den Lake Mondac, das nun hinter ihnen lag. Es gab hier sogar Lichtungen mit Wiesen. Und immer mehr eindrucksvolle Felsformationen, die vor Millionen von Jahren von Gletschern aufgetürmt worden waren.
    Die beiden Frauen gingen schweigend weiter.
    Nach einigen hundert Metern wollte Brynn sich bei Michelle nach dem Zustand ihres Knöchels erkundigen. Stattdessen sagte sie: »Bei meinem Mann ist es genauso.«
    Sie war entsetzt über sich selbst.
    Habe ich das wirklich gesagt?, fragte sie sich. Mein Gott, habe ich?
    Michelle sah sie an und runzelte die Stirn. »Bei Ihrem Mann?«
    »Ja.« Brynn atmete die kalte, duftende Luft ein. »Graham hat eine Affäre.«
    »O Gott, das tut mir leid. Haben Sie sich von ihm getrennt? Lassen Sie sich

Weitere Kostenlose Bücher