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Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind

Titel: Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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eingebracht hat, schoss es Brynn unwillkürlich durch den Kopf.
    »Und aus mir wurde … ein Niemand. Michael kam abends nach Hause, und ich konnte ihm nicht mal von der Hausarbeit erzählen - weil die Dienstmädchen das alles erledigt hatten. Ich wurde langweilig. Er hörte auf, mich zu lieben.«
    Ein Teil der Arbeit einer Polizistin besteht darin, die psychologische
Verfassung der Leute einschätzen zu können, mit denen sie beruflich zu tun bekommt - Gaffer, Zeugen, Opfer und natürlich die Täter. Brynn glaubte zwar nicht, im vorliegenden Fall irgendwelche besonderen Einblicke gewonnen zu haben, aber sie teilte Michelle ihre ehrliche Einschätzung mit: »Es ist nicht alles Ihre Schuld. Das ist es nie.«
    »Ich bin eine solche Versagerin …«
    »Nein, das sind Sie nicht.«
    Davon war Brynn überzeugt. Michelle mochte tatsächlich ein wenig verzogen sein, ein wenig zu verwöhnt, ein wenig zu verliebt in das Geld und das bequeme Leben. Doch auf seltsame Weise lehrte diese Nacht sie vielleicht sogar, dass mehr in ihr steckte als eine reiche Dilettantin.
    Und was den anderen, wichtigeren Punkt anging, so legte Brynn nun wieder einen Arm um Michelles Schultern. »Eines müssen Sie begreifen. Ob Sie die beiden nun hergebeten haben oder nicht, ist völlig egal. Der Mörder von Emma und Steve ist ein Profi, der dafür angeheuert wurde. Falls er sie nicht heute Abend getötet hätte, dann eben nächste Woche. Sie, Michelle, hatten nichts damit zu tun.«
    »Glauben Sie wirklich?«
    »Ja, allerdings.«
    Das Mädchen hatte immer noch Zweifel. Brynn wusste, dass Schuldgefühle überaus komplex und auch in abgeschwächter Form sehr hartnäckig sind. Doch Michelle schien wenigstens etwas Trost aus Brynns Beteuerung zu ziehen. »Ich wünschte einfach nur, ich könnte die Uhr zurückdrehen.«
    Mit diesem Gebet könnte man jeden Tag beginnen, dachte Brynn.
    Michelle seufzte. »Es tut mir leid, dass ich durchgedreht bin. Ich hätte nicht schreien dürfen.«
    »Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Die Kerle sind meilenweit weg, auf dem Grund der Schlucht. Die konnten uns gar nicht hören.«

37
    Das charakteristische Motorengeräusch seines Ford F150 riss Graham Boyd jäh aus den finsteren Gedanken über das Schicksal seiner Frau.
    »Jemand klaut den Pickup.« Er starrte seine Schwiegermutter an und legte automatisch eine Hand auf die Hosentasche, in der er den Wagenschlüssel fühlen konnte.
    Wie ist das möglich?, wunderte er sich. In den Serien, die Anna sich ansah, Matlock und Magnum , wurden ständig Autos kurzgeschlossen. Bei den Modellen von heute konnte das eigentlich nicht mehr funktionieren.
    Doch als er die entriegelte Hintertür in der Küche sowie den leeren Haken sah, an dem sonst der Ersatzschlüssel hing, wusste er, was los war. »Herrje, bitte nicht. Nicht jetzt.«
    »Ich rufe den Sheriff an«, sagte Anna.
    »Nein«, rief Graham. »Schon in Ordnung.«
    Er rannte nach draußen.
    Der Wagen setzte soeben vor den Geräteschuppen zurück, damit der Fahrer wenden und vorwärts die schmale Auffahrt hinunterfahren konnte. Mit lautem Knall touchierte er die Wellblechwand. Es verursachte kaum Schaden und auch nur am Schuppen. Der Fahrer legte den Vorwärtsgang der Automatik ein.
    Graham schwenkte beide Hände wie ein Verkehrspolizist und ging zum Beifahrerfenster, das offen stand. Joey starrte ihm grimmig entgegen.
    »Schalt den Motor aus, und steig aus dem Wagen«, befahl Graham.
    »Nein.«
    »Joey - wird’s bald?«

    »Du kannst mich nicht zwingen. Ich werde nach Mom suchen.«
    »Steig sofort aus.«
    »Nein.«
    »Es kümmert sich bereits jemand darum. Tom Dahl und einige seiner Deputys. Es geht ihr bestimmt gut.«
    »Das sagst du andauernd!«, rief er. »Aber woher willst du das wissen?«
    Stimmt, dachte Graham.
    Er sah den nervösen Blick des Jungen, den festen Griff, mit dem er das Lenkrad umklammerte. Joey war nicht klein - sein Vater maß fast einen Meter neunzig -, aber er war mager und wirkte auf dem großen Sitz winzig.
    »Ich fahre.« Er schaffte es noch immer nicht, in die Auffahrt einzubiegen, also setzte er ein Stück vor bis an eine Mülltonne und dann wieder zurück, diesmal aber vorsichtiger; er hielt an, bevor er den Schuppen berührte. Dann richtete er die Räder zur Straße hin aus und legte erneut den Vorwärtsgang ein.
    »Joey. Nein. Wir wissen doch nicht mal, wo sie ist.« Das klang so, als würde er klein beigeben. Er sollte nicht logisch argumentieren. Immerhin war er hier der

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