Nachtschwarze Küsse - Scent of Darkness (Darkness Chosen 01)
sich von den Klippen löste. Sich in Sicherheit bringen, bevor ihr Miata in Flammen aufging.
Sie zog reflexartig die Handbremse und schloss die Augen.
Während sie versuchte, ihr Gewicht nicht unnötig zu verlagern, tastete sie fahrig nach dem Griff der Beifahrertür und drückte sie behutsam auf. Ihre Vorsicht hätte sie sich sparen können; der Wind riss die Tür auf. Mit angehaltenem Atem erwartete Ann das Unvermeidliche: Gleich würde es bestimmt einen kräftigen Ruck geben, ihr Wagen würde sich zeitlupenartig von der Böschung lösen und sich auf seinem Weg in die Tiefe mehrmals überschlagen.
Nichts.
Abwesend registrierte sie, dass ihre Hand mit einem Mal so ruhig war wie ein Fels.
Irgendwo auf dieser wilden Irrfahrt hatte sie sich mental über diesen Psychoterror hinweggesetzt. Ihre Panik war wie weggewischt.
Sie schob ihre langen Beine ins Freie, rutschte mit dem Po langsam über den Sitz und stand wacklig auf.
Vorderräder und -achse ihres Wagens hielten den Kontakt mit der Straße, während die hintere Hälfte ähnlich einem lauernden Greifvogel über dem Abgrund kauerte.
Sie lief hastig ein Stück von dem Miata weg, um ihn mit einigem Sicherheitsabstand kritisch zu beäugen.
Der Wagen rührte sich nicht.
Sie stand allein auf einer einspurigen privaten Zufahrtsstra ße. Ihr neues Auto war bloß noch ein Schrotthaufen, ein Beweis für ihre grottenschlechte Fahrweise - und für Jasha ein Hinweis, dass sie hier irgendwo herumirrte. Sie war barfuß, klatschnass und - sie warf einen Blick auf die Straße - dem Wolf in Jasha hilflos ausgeliefert.
Sie musste sich schleunigst verstecken. Aber wo?
Auf der einen Seite der steil abfallenden Straße leckte der Ozean an den gezackten Klippen. Auf der anderen Seite ragte der Urwald wie eine dunkle, dichte Wand auf, gespenstisch schlugen die Äste im Sturm. Dort mochte sie sich nicht verstecken.
In der Ferne heulte ein Wolf.
Er hatte ihre Witterung aufgenommen. Und kam, um sie zu holen.
Ann überlegte nicht lange. Sie setzte über die Straße und in den Wald.
5
D as grüne Dach der Bäume hielt das Dämmerlicht zunehmend ab, schützte Ann vor Sturm und Regen. Ihre nackten Füße sanken in den feuchten Waldboden. Der Duft würziger Kiefernnadeln schwebte in der Luft, und für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich sicher aufgehoben im Schoß von Mutter Natur.
Plötzlich spaltete ein zuckender Blitz den zinngrauen Himmel, gefolgt von tosendem Donner. Das Unwetter schlug erbarmungslos zu, und sie hörte einen Wolf heulen, dann noch einen und noch einen weiteren. Es klang wie ein ganzes Rudel.
Das waren wahrscheinlich Jashas mordlustige Gefährten.
Das trügerische Gefühl der Sicherheit, in dem sie sich gewiegt hatte, war wie weggewischt. Sie strich sich das tropfnasse Haar aus den Schläfen und bemerkte, dass ihre Hände schwarz verschmiert waren. Ihre Mascara war hinüber. Ihr Kleid war ruiniert. Ihre Träume ein einziger Scherbenhaufen. Ihr Leben …
Beim Laufen bohrten sich Tannennadeln in ihre Fußsohlen, und sie lauschte angestrengt auf das Ächzen des Sturms in den Zweigen.
Irgendwo hinter ihr heulte ein einsamer Wolf. Es klang ärgerlich, geradezu wütend. Das war bestimmt Jasha.
Was war er eigentlich? Sicher nicht einer dieser legendären Wolfsmenschen; solche Bestien wurden für gewöhnlich mit dem Vollmond in Verbindung gebracht. Er war irgendein anderes … Ding.
Der nächste hell aufzuckende Blitz verwandelte die hohen Felsen in hagere, spöttische Grinsgesichter. Sie rannte weiter, auf der hektischen Suche nach einem Unterschlupf, wohl wissend, dass sie nirgends sicher war. Sie befand sich weitab von der Zivilisation. Und würde hier draußen wahrscheinlich an Hunger und Durst sterben … oder durch Jashas Hände.
Pfoten, Klauen - was auch immer.
Sie erspähte einen träge dahinfließenden Fluss und entsann sich eines Tricks, den sie bei den Pfadfinderinnen gelernt hatte. Wenn sie durch den Fluss watete, verlor Jasha ihre Witterung.
Sie steckte einen Fuß in das Wasser. Die Kälte war eine wahre Wohltat für ihre brennenden Fußsohlen. Sie watete vorsichtig weiter, da sie dauernd auf den großen glatten, moosigen Steinen ausglitt. Dabei lauschte sie auf verräterische Geräusche des Wolfs, vernahm jedoch nichts. Für eine kurze Weile wähnte sie sich in Sicherheit.
Dann hörte sie es. Ein lautes Platschen, gefolgt von dem lang gezogenen Hecheln eines Tieres, das durch gurgelnde Wassermassen setzt.
Er hatte sie gefunden. Er war
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