Nachtschwarze Küsse - Scent of Darkness (Darkness Chosen 01)
dass sie die meiste Zeit in der Gesellschaft von Nonnen verbracht, mit ihnen gelebt und gebetet hatte? Weil sie sich nach einer Familie gesehnt hatte, irgendeinem Zusammenhalt, obwohl sie gewusst hatte, dass sie im Konvent bloß geduldet wurde?
Und nachdem Schwester Catherine … danach war sie nirgends mehr willkommen gewesen.
Immerhin konnte sie so tun als ob, deshalb plapperte sie munter weiter: »Häufig werden Babys nach der Geburt adoptiert oder in Pflegefamilien gegeben. Ich war jedoch ein Frühchen und musste noch viereinhalb Monate im Krankenhaus bleiben. Die Ärzte hatten wenig Hoffnung, aber ich überlebte und kam aus dem Inkubator direkt in das Waisenhaus. Schwester Mary Magdalene fand, dass ich das hässlichste Baby war, das sie je gesehen hatte.«
Zwischen seine Brauen schob sich eine steile Falte. »Das ist hart.«
»Schwester Mary Magdalene war stolz auf ihre unverblümte Ehrlichkeit.« Das war eine himmelschreiende Untertreibung. »Ich hab die Fotos gesehen. Ich war ein großes, dürres Etwas mit einer scheußlichen Babyglatze. Die Ärzte hatten bei mir bereits eine starke Fehlsichtigkeit diagnostiziert und rechneten mit künftigen Komplikationen, folglich mochte mich niemand adoptieren.« Unwillkürlich betastete sie das Mal auf ihrem Rücken, bevor sie sich hinsetzte, um ihre Hose anzuziehen. »Ein Waisenhaus ist kein Ersatz für eine Familie, aber es gibt bestimmt Schlimmeres. Ich sollte eigentlich dankbar sein …«
Er richtete sich auf und musterte sie verblüfft.
»Ich war dankbar«, sagte sie hastig.
»Echt? Wer hat dir das gesteckt?«
»Schwester Mary Magdalene.«
»Tu mir einen Gefallen. Sei mir nie wegen irgendwas dankbar.«
Mit seinem trockenen Humor entspannte er die Situation. Ann lächelte. »Im Moment fällt mir auch nichts ein, wofür ich dir dankbar sein sollte.«
»Der Kaffee.«
»Das war eine reine Selbstschutzmaßnahme.« Sie setzte sich auf den Rucksack, zog Socken an und band sich die Schuhe. »Du wusstest, dass ich ohne Koffein zum Tier werde.«
»Ja, ich bin nicht der Einzige, dem Zähne und Klauen wachsen. Wir haben bloß unterschiedliche Motive.«
Er zog sie auf - vermutlich bloß, um ihr weitere Details zu entlocken.
Immerhin hatte er bereits die dickste Kröte geschluckt. Den Rest würde sie ihm fröhlich giggelnd und in abgeschwächter Form beibiegen. Seine Wolfssinne konnten keine Halbwahrheiten wittern, oder etwa doch?
»Wo warst du heute Nacht? Du hast was von einer Ratte erzählt.« Fertig angezogen, rollte sie den Schlafsack zusammen.
Er zog ein Stück Segeltuch von einem Häufchen, das am Boden lag.
Er hatte einen kleinen Käfig aus Zweigen gebaut, diesen am Boden festgemacht, und darin -
Ann kreischte auf. »Da drin ist eine Ratte!« Sie umklammerte die Ikone in ihrer Hosentasche, als wollte sie die Jungfrau beschützen - oder umgekehrt.
Die Ratte lief hektisch im Kreis, auf der Suche nach einem Fluchtweg. Sie scharrte am Boden, umklammerte die Holzstäbe.
»Du hast eine Ratte mit hergebracht, und diesesVieh war die ganze Zeit hier, während wir geschlafen haben? Eine hässliche, widerwärtige, knopfäugige …« Sie schüttelte sich vor Ekel.
»Du magst wohl keine Ratten, hm?«, meinte er trocken.
»Nager. Schmutzige, abscheuliche Biester.« Sie erinnerte sich, dass die Ratten im Waisenhaus durch die Babybettchen gehuscht und dann in der Küche eingefallen waren. Bedrohlich groß und bösartig. »Ich hasse sie.«
»Ich hab sie aus einem bestimmten Grund mit hergebracht.« Er griff in seine Jackentasche.
»Du willst sie doch wohl nicht töten, oder?« Sie umklammerte den Schlafsack wie eine Babykuscheldecke.
»Ich dachte, du magst keine Ratten?«
»Ich bring nicht zwangsläufig alles um, was ich nicht leiden kann. Wenn dem so wäre, hätte ich jetzt ein echtes Problem«, fauchte sie ihn an.
»Schau mal her.« Er zog die Plastiktüte mit dem Minichip aus seiner Tasche. Steckte ihn in einen Bissen Brownie, den er auf seine Fingerspitze legte und der Ratte durch das Gitter anbot.
»Sei bloß vorsichtig!«, japste sie erschrocken.
Die Ratte schnüffelte daran, schnappte sich den Leckerbissen von seinem Finger und schluckte ihn gierig hinunter.
Grinsend zog Jasha die Zweige aus dem Boden und ließ die Ratte frei. Sie lief ein paar Mal orientierungslos um ihre eigene Achse, ehe sie im Unterholz verschwand.
Ann flüchtete sich auf einen hohen Felsen und kreischte wie eine Besessene. Sie wusste nicht mal, wie sie dort oben hingekommen
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