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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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Schlimmeres überlebt.«
    Sie musterte seine braunen Augen auf der Suche nach dem Geheimnis, das darin verborgen lag – liegen musste! Aber er sagte nichts mehr, als wäre gerade eben nichts Ungewöhnliches geschehen, und sie hasste ihn für das Gefühl, das er ihr damit gab: Alles nur deine Einbildung.
    Alba stand kurz davor, ihn an den Schultern zu packen und durchzuschütteln: Kennst du den Mörder meines Großvaters? Und wenn ja, wie kommt es, dass ich dann ausgerechnet dich umrenne?
    Â»Komm, wir müssen rein, der Priester wartet.« Georg maß sein Gegenüber mit einem abschätzigen Blick, und sein Tonfall wurde eine Spur kühler. »Entschuldigen Sie uns.«
    Er zog Alba in die Kapelle, auch wenn sie lieber draußen geblieben wäre, solange sie nicht herausgefunden hatte, wie all das miteinander verknüpft war: der junge Mann, der seltsame Vogel und der Mörder ihres Großvaters.
    Â»Also wirklich«, nörgelte Georg vor sich hin. »Was ist bloß in dich gefahren? Ich glaube, du bist mir eine Erklärung schuldig. Hast du daran gedacht, was die Leute sagen werden?«

    Ihr Blick schweifte über die leeren Bänke. Welche Leute, bitte schön? Sie blieb abrupt stehen und riss ihre Hand aus seinem Griff. Nun, mal sehen, was die Leute dazu sagen würden!
    Alba lief nach draußen.
    Wo war der junge Mann?
    Er humpelte den Weg entlang zurück zum Friedhofstor.
    Lass ihn nicht fort! , pochte es heiß in ihrer Brust. Wenn er jetzt geht, siehst du ihn nie wieder. Und erfährst nicht, was los ist.
    Sie holte tief Luft, brachte jedoch keinen Ton heraus. Es gelang ihr nicht, die Scham über ihren Sprachfehler zu überwinden, diesen Makel, der ihr jegliche Kommunikation beinahe unmöglich machte. So musste sie tatenlos zusehen, wie der einzige Mensch, der ihr vielleicht Antworten geben konnte, davonzog. Ihr selbst blieb nichts anderes übrig, als zu Georg zurückzukehren, der ihr den Rest der Predigt über finstere Blicke zuwarf.
    Am Ende verabschiedete der Priester sie an der Tür. »Mein herzliches Beileid. Ich kannte Ihren Großvater sehr gut.« Er drückte Albas Hand. »Und Sie, als Sie noch ein kleines Mädchen waren, ebenfalls. Sie erinnern sich nicht an mich, oder?«
    Alba schüttelte den Kopf.
    Der Priester tätschelte ihr die Schulter, und für einen Augenblick fühlte sie sich tatsächlich wie ein kleines Mädchen, das mit ihrem Opa zu einer Messe gekommen
war. Die Geste hatte etwas Vertrautes an sich. Wie so vieles in der letzten Zeit – das Gesicht des Mörders, die Hollywoodschaukel im Garten ihres Opas … Es machte ihr Angst.
    Â»Ihr Großvater hat Sie oft in die Kirche mitgenommen. Er liebte Sie über alles. Es hat ihm fast das Herz gebrochen, als Sie ihm genommen wurden. Schrecklich, was Ihnen damals widerfahren ist, aber wie ich sehe …«
    Georg legte einen Arm um Alba. »Danke für die schöne Predigt, Pater … aber wir müssen jetzt leider gehen.« Sanft, aber bestimmt führte er Alba davon.
    Sie blickte zurück. Der Geistliche stand noch vor der Tür und sah ihnen mit bekümmertem Gesicht nach. Alba spürte einen Stich im Herzen. Vermutlich war er der Einzige, der um ihren Großvater wirklich trauerte.
    Eins stand fest: Sie musste die Wahrheit erfahren. Den Schlüssel dazu barg der Brief, und die Truhe wurde darin sicherlich nicht zum Spaß erwähnt. Sie musste diese Truhe finden. Und das bedeutete, in das Haus des Toten zurückzukehren.

Kapitel 6
    H ermanns Garten sah nicht viel anders aus als bei ihrem ersten Besuch, doch Alba verharrte lange vor dem quietschenden Tor, ohne einen Schritt auf den Kiesweg zu wagen. Ab und zu schaute sie sich um und musterte die Straße. Die Linden reihten sich aneinander wie Soldaten, weiter vorn am Hügel bemalten zwei Kinder den Asphalt mit Kreide und stritten um etwas.
    Ob der Mörder sie beobachtete? Vielleicht wartete er nur darauf, dass sie die Truhe und das Geheimnis, das in ihr verborgen lag, finden würde? Trotz ihrer Befürchtungen konnte sie nirgends ihren Verfolger entdecken, aber das musste nichts heißen. Sie durfte sich nicht in Sicherheit wiegen, das zeigte der Vorfall in der Kapelle vor ein paar Tagen nur zu deutlich. Die einzige Chance, diesem Alptraum zu entkommen, bestand darin, das Vermächtnis ihres Opas zu entschlüsseln und mit den Beweisen zur Polizei zu gehen. Nur

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