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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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behandelte? Doch egal, wie sehr sie sich anstrengte, sie konnte keinen Spott in seiner Stimme erkennen – er klang nicht viel anders, als noch kurz zuvor. Störte ihn ihre Stotterei wirklich nicht?

    Â»Ich würde Sie gern um einen Gefallen bitten«, sprach er weiter. »Falls Sie hier aufräumen und zufällig etwas über die Göttin Oya finden, würden Sie es für mich beiseitelegen? Professor Herzhoff wollte mir seine Aufzeichnungen zukommen lassen, aber …« Er hielt inne. »Verzeihung. Es ist nicht sonderlich einfühlsam, unter diesen Umständen über eine Diplomarbeit zu reden …«
    Alba legte ihm die Hand auf die Lippen. Gleich darauf zuckte sie zurück, als hätte sie sich die Finger verbrannt. Was war bloß in sie gefahren? Sogar Georg gegenüber musste sie sich jedes Mal dazu durchringen und benutzte diese Geste nur, weil sie ihn sonst nicht zum Schweigen bringen konnte. Aber bei Finn fühlte sich die Berührung so natürlich an, als hätte sie es schon seit Ewigkeiten getan. Woher kam bloß die Vertrautheit mit diesem ihr völlig unbekannten Mann?
    Ungeachtet aller Zweifel, schlug sie ihm vor, ihr beim Aufräumen und der Suche nach seinen Notizen zu helfen. Gut, der Satz hatte etwa fünf Minuten in Anspruch genommen, aber Finns Lächeln entschädigte sie für alle Mühen.
    Â»Gern, allerdings nur, wenn Sie mit einem Du einverstanden sind.«
    Alba nickte, immer noch durcheinander von seiner Art, wie er mit ihr umging. Und gleichzeitig befreit. Als stünde das Stottern gar nicht zwischen ihnen, als gäbe es ihren Makel überhaupt nicht mehr.
    Zusammen sahen sie Kisten und Regale im Erdgeschoss durch und räumten die herumliegenden Bücher
und Papiere beiseite. Finn fand tatsächlich einige Aufzeichnungen zu allen möglichen Gottheiten, Alba dagegen suchte vergeblich nach der geheimnisvollen Truhe.
    Zum Abend hin begaben sie sich auf den Dachboden, der das Flair einer Müllhalde verbreitete. Kartons und Kisten, aus denen die Sachen hervorquollen, stapelten sich überall wie ein Miniatur-Labyrinth. Vieles lag achtlos auf den Boden geworfen da: ein kaputter Tennisschläger, eine Jogginghose, ein mannshoher schiefer Bilderrahmen. Das rote Licht der untergehenden Sonne kämpfte sich durch ein Fenster, das so mit Schmutz überzogen war, dass es aussah wie ein Sichtschutz. Der Greifvogel flog herbei und setzte sich auf einen Ast in der Nähe, als wolle er das Treiben der Menschen im Haus beobachten. Anscheinend ließ er sein Herrchen ungern allein mit Fremden.
    Alba berührte Finn an der Schulter und deutete zum Fenster.
    Â»D-deiner?« Nur ein Wort. Viel mehr traute sie sich doch nicht zu sprechen, als erwarte sie jeden Moment, dass er sie auslachen würde.
    Finn zögerte, nickte, dann schüttelte er heftig den Kopf. »Sie ist mir zufällig zugeflogen. Ich wäre froh, wenn ich sie loswerden könnte. Irgendwelche Vorschläge?«
    Er grinste, auch wenn es irgendwie traurig wirkte. Der Mann und sein Vogel gaben ihr Rätsel auf.
    Die staubige Luft kratzte Alba im Rachen, und sie musste husten. Mit der Fußspitze pflügte sie durch die Sachen, die auf den Dielen herumlagen. Finn hievte die
erste Kiste auf den Boden, und Alba und er setzten sich im Schneidersitz davor.
    Stunden später, als es dunkel und der Dachboden von der in einer Ecke gefundenen Lampe beleuchtet wurde, hockten sie immer noch zwischen den Kartons.
    Und Alba redete. Redete, weil Finn fragte, und irgendwann endlich auch, weil es ihr Spaß machte. Das Gespräch ging stotternd und mühsam voran, doch es machte ihr nichts aus, und ihm anscheinend noch weniger. Sie genoss die Zeit in seiner Gesellschaft, und ihr bangte vor dem Moment, da er gehen würde. Mit ihm fühlte sie sich fern jeglicher Regeln und Zwänge.
    Irgendwann bemerkte sie, wie sein Blick auf ihren Lippen ruhte. Sie stockte und führte die Hand zum Mund.
    Â»W-was ist?«
    Schnell senkte er die Lider, und es kam ihr vor, als wäre er eine Spur errötet. »Nichts. Ich sehe dir nur gern zu, wenn du sprichst.«
    Â»Aha.« Sie lachte und erkämpfte den nächsten Satz: »Zuhören wäre sicherlich angebrachter.«
    Auf einmal erschreckte es sie, wie viel Nähe sie zu einem unbekannten Mann verspürte. Eindeutig zu viel Nähe.
    Alba bemühte sich um einen sachlichen Ton. Sie bemühte sich um eine Distanz zu ihm und

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