Nachtseelen
Wackeln.
»Ich höre.« Linnea stieà das Tier herunter. Es fauchte. Sie benötigte nur einen Blick, um es zu bezwingen und zur Ruhe zu bringen. Und sie genoss es, den Willen des Tieres zu brechen, denn dieser Kraftakt löste die Spannungen in ihr. Die Katze miaute, machte sich klein zum Zeichen ihrer Ergebung.
Micaela schluckte hörbar. Die Gewalt über ihr Seelentier hinterlieà auch bei ihr Spuren. Doch sie nahm es hin wie ihre bezwungene Katze und stieà nicht einmal einen Laut der Gegenwehr aus. Stattdessen streckte sie den Arm und öffnete ihre Handfläche, auf der die Schnalle lag.
»Finn.«
Der Name fiel wie ein Felsbrocken in die Stille.
»Nein!«, hauchte Linnea, ehe sie sich zurückhalten konnte. Die Kraft wich aus ihren Beinen, und sie hielt sich an der Kommode fest. Nicht du, Finn, bitte â nicht du!
»Doch.« Micaela warf die Gürtelschnalle auf das Möbelstück. Es schlitterte über die Oberfläche und blieb mit einem Klacken an der Wand liegen. Versteinert beobachtete Linnea, wie das kleine Ding schaukelte, bis es zur Ruhe kam. Micaelas Wärme haftete noch an dem Metall, das allmählich von Gelb zu Grün abkühlte.
In der letzten Zeit hatte Linnea viele Enttäuschungen erlebt, doch diese tat ihr besonders weh. Weil sie den Verräter trotz allem begehrte, unfähig, gegen ihre Natur anzugehen.
»Verdammt.« Sie legte ihre Hand auf die Schnalle und
befühlte das Metall, das ihr kühler vorkam, als es war. Sie presste ihre Lippen aufeinander, bis diese taub wurden.
Warum? Warum dieser Verrat?
Linnea wusste nicht, ob sie es ausgesprochen hatte oder nicht. Die Frage kreiste in ihrem Kopf wie ein Geier. Egal, wie sie es drehte und wendete: Es passte zusammen. Er war der Einzige, der während des Kampfes gefehlt, sich der Gemeinde zu entziehen versucht und sich eine Woche vor dem Angriff mit Kilian herumgetrieben hatte. Was hatte sie bloà falsch gemacht, dass in der letzten Zeit so viele der Gemeinschaft den Rücken kehrten? Sebastian, Kilian und nun â Finn? Verlor sie die Macht über ihre Untertanen? Das durfte nicht geschehen. Nicht nach allem, was sie dafür getan hatte, ihre Gemeinde zu erweitern. Ihr Blick bohrte sich in Micaelas Gestalt, der Duft, der jeden Willen zu brechen vermochte, reizte Linneas zwischen den Lippen ausstreckte Zungenspitze.
Sie ballte die Faust um die Schnalle, so dass die Kanten sich in ihre Haut bohrten. »Bringe ihn mir her. Lebend, samt seinem Seelentier. Sein Schicksal soll eine Lehre für alle sein, die mit dem Gedanken spielen, mich zu hintergehen.«
Micaela verneigte sich, von dem Duft bezwungen. »Jawohl, meine Königin.«
Linnea machte eine abweisende Geste, die das Ende der Audienz bedeutete, doch die Jägerin stand immer noch da. »Was wird mit ihm geschehen?«
»Das wirst du früh genug erfahren. Alle werden es erfahren. Und ich verspreche dir, so bald werden sie es nicht mehr vergessen. Und jetzt geh! Du hast einen Auftrag zu erledigen. Verschwinde.«
»Ja, verzeih mir.« Micaela klang verstimmt. Die Frau erwartete Anerkennung und Lob, doch im Moment war Linnea dazu nicht aufgelegt. Zu tief saà der Schmerz, zu sehr nagte der hinterhältige Verrat an ihrer Seele.
Micaela entfernte sich.
Linnea musste einige Atemzüge machen, um ihr Gedankenchaos zu bezwingen. Es irritierte sie, einen Mann so zu begehren und ihn gleichzeitig zu verabscheuen. Die Gelüste leckten an ihrem Inneren wie Flammen. Sie untersagte es sich, an ihn zu denken, konnte aber nicht anders. Sie wollte ihn besitzen, mit Haut und Haar, sie gierte nach seiner Nähe und seiner Zuneigung.
Es war nicht auszuhalten.
Linnea öffnete eine Schublade der Kommode, krallte ihre Finger hinein und schob die Lade mit ganzer Kraft zu. Der Schmerz lieà sie aufschreien. Unkontrolliert liefen Tränen ihre Wangen hinunter. Ihre Beine knickten ein, so gab sie sich der Schwerkraft hin und sackte zu Boden. Die verletzten Finger pochten, und die kleinste Bewegung brachte Qualen. Doch auch Erleichterung â ihre Gelüste machten der Schmerzbewältigung Platz.
Linnea schluchzte, schloss die Lider, unter denen noch immer Tränen hervorquollen, und lehnte den Kopf gegen die Kommodenwand.
Dann begriff sie: Sie war nicht mehr allein.
Ihr Körper spannte sich an wie der Smaragdas kurz vor dem Zuschnappen, wenn die Schlange ihre Beute jagte. Sie hatte nicht
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