Nachtseelen
denn nur das konnte ihre Gier stillen. Und nicht nur die Gier.
Denn solange sie mit ihm schlafen würde, würde sie ein anderes Gesicht vor sich sehen. Ein Gesicht, dessen Züge sie wie ihr Augenlicht vermisste. Conrad Wensley. Für wenige, bittersüÃe Minuten würde sie tatsächlich glauben, ihren toten Geliebten in den Armen zu halten. Sie würde sich seine Berührungen, seinen Duft nach exotischen Pflanzen und seine Stimme einbilden, bis die Realität sie wieder einholte.
Linnea verfluchte sich für ihre Sehnsucht, für die Schwäche ihres Geistes und ihres Körpers. Wenn die Zeit kam, mutierte sie zu einer läufigen Katze und führte sich auch so auf, ohne imstande zu sein, etwas gegen die Triebe zu unternehmen, die in ihren Genen stärker als in denen der anderen Metamorphen programmiert waren.
Diese verfluchte List der Natur, die die Linie der Königin sichern sollte, lieà die Hormone in ihr verrückt spielen. Denn ohne eine Königin konnte die Gemeinde nicht existieren. Sie musste eine Nachfolgerin hervorbringen und diese mit einem Partner an ihrer Seite ausbilden.
Doch die Genetik und das Erbe hatten ihre Rechnung ohne Linnea und Antibabypillen gemacht. Ein Kind zeugen? So weit kam es noch. Es reichte, wenn das erste ihr stets in die Quere kam und sie es trotz aller Bemühungen nicht auslöschen konnte. Und einen festen Partner an ihrer Seite würde sie genauso wenig dulden. Denn keiner von ihnen konnte ihr Conrad ersetzen. Dumm nur, dass die Paarung ein Bündnis bis zum Tod
bedeutete. Wie viele Metamorphe mussten deswegen ihr Leben lassen, nachdem Linnea mit ihnen das Lager geteilt hatte!
Diesmal würde es nicht anders verlaufen. Sie dachte an Finn, lenkte ihr Verlangen auf ihn. Warum nicht? Linnea wollte den jungen Metamorph verführen, es ihm irgendwie leichter machen, aber er blieb zu seinem Unglück stoisch. Nun musste sie ihn zur Paarung zwingen. Er tat ihr leid, gab sie insgeheim zu, und bemühte sich, ihre Gewissensbisse verstummen zu lassen.
Die Gedanken an Finn brachten etwas Ruhe in ihr aufgewühltes Gemüt. Es würden erfüllende Tage mit ihm sein, voller Lust und Leidenschaft. Dass er danach sein Leben lassen musste â daran zu denken, verbat sie sich. Sie würde es ihm schön machen, schnell und schmerzlos. Immerhin traf es keinen erfahrenen Jäger â solch ein Verlust wäre für die ganze Gemeinschaft um einiges schwerer zu verkraften.
Das plötzliche Klingeln an der Tür durchdrang selbst die letzte Faser ihres Körpers. Es war kein gewöhnliches Klingeln, sondern der Ton wurde begleitet von einem Trommelwirbel, dessen Vibrieren Linnea in dem Boden unter ihren FüÃen eher wahrnahm als den Schall. Sie schmunzelte. War Finn zurückgekommen? Die Erregung, die sie bei dem Gedanken ergriff, war ihr peinlich. Sie führte sich auf wie ein verliebter Teenager â ein bisschen mehr sollte sie sich doch trotz aller Hormone unter Kontrolle haben.
Kaum dass sie aufgeschlossen hatte, machte sich Enttäuschung in ihr breit.
»Micaela.« Sie wollte die Jägerin nicht sehen, zumindest nicht in dem Zustand, in dem sie sich befand. Aber sie konnte die Frau auch nicht davonjagen.
Linnea lieà sie in den Flur, aber nicht ins Wohnzimmer. In den Tagen ihrer Gelüste musste sie alle Besuche abkürzen, denn sie konnte es sich nicht erlauben, den anderen ihre Schwäche zu zeigen. Und sie musste sehr auf ihre Tonlage achten, um den Kampf mit der inneren Zerrissenheit nicht preiszugeben, deshalb sagte sie kurz angebunden: »Was gibtâs?«
Die Frau brachte den Geruch von Abgasen und welkender Natur mit sich, als wolle der Herbst seinen Einzug auch in dieser Wohnung feiern. Die Katze verbarg sich hinter den Beinen ihres Frauchens und zuckte mit der Schwanzspitze. Das Tier stank nach nassem Fell. Linnea rümpfte die Nase, obwohl sie nicht damit roch, sondern indem sie züngelte. Seltsam, in Finns Gesellschaft hatte sie nichts auÃer seinem Duft wahrgenommen, als wären alle anderen Gerüche davon überlagert worden.
»Ich weiÃ, wem die Gürtelschnalle gehört.«
»Mh.« Linnea nickte zerstreut.
Micaela trat vor. Ihre Stimme bebte, sei es vor Aufregung, sei es vor Ãrger über die Nichtbeachtung. »Ich kenne den Namen des Verräters! Ich habe ihn herausgefunden!«
Ihre Katze sprang auf die Kommode und brachte darauf eine Kristallschale zum
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