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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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schon auf dich gewartet.«
    Â»Wirklich?«
    Sie lächelte, und das Faltennetz um ihre Augen und Mundwinkeln zerfurchte ihr Gesicht. »Nun ja, das letzte Mal warst du nicht sonderlich gesprächig, so in Vogelgestalt. Amüsant, ja, aber nicht gesprächig.«
    Sie führte ihn ins Wohnzimmer, das mit Designermöbeln ausgestattet war – ganz anders als das, was man
sich normalerweise unter einem Oma-Interieur vorstellte. Keine Spitzengardinen, kein geblümtes Sofa. In dem Zimmer mit den zahlreichen Fenstern, die den Raum lichtdurchflutet noch größer wirken ließen, bildete eine schwarz-weiße Ledergarnitur in der Mitte eine Insel der Ruhe und Gemütlichkeit. Ein HD-Fernseher thronte in einer Nische des Wandschrankes, und an den restlichen Wänden verliefen im Zickzack Regale mit Lexika und wissenschaftlichen Büchern.
    Finn räumte einige Papiere vom Sessel und setzte sich, während Juliane in der Küche verschwand und mit dem Geschirr klapperte. »Für dich einen Ceylontee, nicht wahr?«
    Lieber ein Beruhigungsgebräu, dachte er und erinnerte sich an Kilian, der stets Kräutertees mit Baldrian zu sich nahm. Jetzt ergab alles mehr Sinn, als er sich damals eingestehen wollte.
    Â»Mit Rumkandis?«, fragte Juliane weiter.
    Und einem saftigen Braten mit Beilage, fügte er stumm hinzu. Sein Magen knurrte, aber zu gestehen, wie schlecht es finanziell um ihn stand, war ihm sogar gegenüber der eigenen Oma peinlich.
    Bald huschte sie ins Zimmer, stellte das Tablett schwungvoll ab, ohne auch nur einen Tropfen Tee aus den bis zum Rand gefüllten Tassen zu verschütten, und deckte den Tisch. In einer Porzellanschale servierte sie Butterkekse, und Finn stürzte sich darauf, um den Hunger wenigstens etwas zu stillen.
    Seine Oma setzte sich mit der Grazie einer Königin
ihm gegenüber und nahm sich eine Tasse auf den Schoß. »Erzähl, mein Junge. Wann ist es passiert?«
    Â»Du meinst, wann ich mein Seelentier gefunden habe?«, fragte er mit vollem Mund.
    Sie nickte. Ihrer Haltung nach konnte sie es nicht erwarten, die Geschichte endlich zu hören.
    Â»Vor ein paar Monaten.« Er schluckte die zerkaute Keksmasse hinunter. »Du scheinst es gewusst zu haben. Allzu überrascht sahst du bei meiner Ankunft in Vogelgestalt nicht aus.«
    Sie seufzte und zupfte an ein paar grauen Strähnchen, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Das hauchdünne goldene Kettchen um ihr Handgelenk glänzte. »Ich hatte darauf gehofft und gewartet. Jahrelang. Inzwischen musste ich einsehen, dass ich die Hoffnung zu früh aufgegeben hatte. Normalerweise ist das Alter von 21 Jahren die Obergrenze, bis wann ein Anwärter die Verbindung zu seinem Seelentier herstellen kann. Du warst weit darüber hinaus.«
    Â»Du hattest … gehofft?«, schnaubte er und verschluckte sich an einem Krümel. »Mein Gott, ich verfluche den Tag, an dem es passiert ist, und du hast darauf gehofft? Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?« Er schloss die Augen. Der Wutanfall verebbte genauso schnell, wie er gekommen war, und hinterließ bloß Bitterkeit. Das Chaos seiner Gefühle zermürbte seinen Verstand und seinen Körper. Für einen Moment glaubte er, beobachtet zu werden. Als hinge da etwas über ihm in der Luft, doch als er sich umdrehte, sah er nichts. »Du
hättest mich warnen sollen oder wenigstens etwas andeuten können. Und nicht warten müssen, bis ich von einer Leiter falle und mich plötzlich mit dem Geist in den Körper eines Vogels versetze. Ich bin nicht einmal schwindelfrei, und das Vieh ist geflogen!«
    Â»Tja.« Sie schmunzelte, sichtlich amüsiert über seinen Bericht. »Ich war mir nicht sicher, ob du zu einem Metamorph werden konntest. Es sah nicht gut aus, du warst nun mal zu alt dafür.«
    Er schwieg und musterte seine Oma, als sähe er sie zum ersten Mal. »Bist du denn einer?«
    Â»Nicht mehr.« Ihre Stimme klang brüchig. Sie nippte an ihrem Tee und deutete mit dem Kinn auf seine Tasse. »Trink, mein Junge, solange er heiß ist.«
    Â»Zuerst will ich alles wissen.«
    Â»Puh, das wird eine lange Unterhaltung sein. Ja, ich war ein Metamorph, aber mein Seelentier wurde getötet, und nun bin ich keiner mehr. Inzwischen ist es fast 25 Jahre her.« Sie machte eine Pause. »Damals war ich die Königin der Hamburger Gemeinde.«
    Finn, der gerade seinen Tee trinken

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