Nachtseelen
hatte. Es gab viele Frauen in seinem Leben, die gelegentlich den Weg in sein Bett fanden, doch seit er ein Metamorph geworden war, hatte er keine mehr angefasst. Denn eine Paarung bedeutete ein Bündnis fürs Leben, so dass nur der sprichwörtliche Tod ihn scheiden würde. Das konnte er nicht verantworten.
Schluss jetzt!, ermahnte sich Finn. Du musst dich nicht vor dem verwöhnten Mädchen rechtfertigen. Sie wird es nicht verstehen.
Zugegeben, das würde sie nicht. Aber hatte er sich damals auf dem Dachboden nicht gewünscht, Alba für immer an seiner Seite zu haben? Hätte sie ihm nur ein Zeichen gegeben, wäre er stark genug gewesen, sie von sich zu stoÃen? Oder wäre er bis zum Letzten gegangen und hätte sich für immer an sie gebunden?
Quatsch! Finn beschleunigte den Schritt, als könne er vor seinen Gefühlen davonlaufen. Jetzt fehlte nur noch, dass er sich in sie verliebte.
Fünfzehn Minuten später klingelte er an Evelyns Tür. Die Nachzehrerin öffnete und bat ihn mit einer einladenden Geste herein, doch er reichte ihr bloà die Tüte. »Hier«, murrte er, immer noch verärgert über seine eigenen Gedanken und die Verletzlichkeit, die sie mit sich brachten. »Für unser Prinzesschen.«
Beim Anblick der Totenküsserin fauchte die Ratte, und das Fell sträubte sich ihr.
»Ein Seelentier reicht dir nicht, jetzt legst du dir noch eine Ratte zu?« Evelyn lachte und streckte ihre Hand aus.
Der Nager schnappte nach ihrem Finger, verfehlte aber sein Ziel.
Sie seufzte. »Genau aus diesem Grund musste ich Fridolin abgeben, als ich endgültig zu einer Nachzehrerin wurde.«
Flink krabbelte die Ratte an Finn herunter und floh. In wenigen Sekunden war sie verschwunden. Tiere spürten den Todeshauch, der die Nachzehrer umgab, und es war Finn unmöglich, einem fremden Seelentier
mitzuteilen, alles sei in Ordnung. Auch er spürte ihn, zwang sich aber, seine Metamorph-Instinkte zu ignorieren.
Evelyn öffnete die Tüte und stöhnte. »Oh, das riecht aber gut. Menschen-Essen ⦠WeiÃt du, was ich in meinem Leben als Untote wirklich vermisse? Einen groÃen Latte macchiato. Mh, dafür könnte ich meine Seele dem Teufel verkaufen, ehrlich. Etwa eine Woche nach Beginn meines Nachzehrer-Daseins habe ich doch ein Glas davon getrunken. Tja. Und dann musste ich es mir einen Tag lang wieder durch den Kopf gehen lassen. Kein angenehmes Erlebnis, sag ich dir.« Sie kicherte und betrachtete die Tüte von allen Seiten. »Ich nehme an, mit Prinzesschen meinst du Alba.«
»Wen denn sonst?«, knurrte er. Unter keinen Umständen wollte er Evelyn merken lassen, was die bloÃe Nennung ihres Namens in ihm hervorrief.
»Wieso gibst du es ihr nicht persönlich? Sie würde sich sicherlich freuen.«
Finn schnaubte. »Freuen? Falls du es noch nicht bemerkt hast: Sie würde sich mehr über den Dreck an ihren Prada-Schuhen freuen als über meine Erscheinung.«
»WeiÃt du, ich glaube, ich habe mehr bemerkt als du anscheinend.«
»Ach was.«
»Wieso kommst du nicht rein und isst mit ihr?«
»Ich habe schon gegessen«, log er. Schon wieder. Hatte er sich unter Albas verletztem Blick nicht geschworen, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen? Was
sollâs. Die Wahrheit hatte ihm Alba auch nicht zurückgebracht. »AuÃerdem habe ich ihr versprochen, sie mit meiner Anwesenheit nicht zu belästigen. Ich haue gleich wieder ab. Nur eine Frage: Ist Adrián da?«
»Nein. Er ist nach Blankenese gefahren, um mit Maria zu reden. Hoffentlich, kann er sie überzeugen. Mit ihr an seiner Seite wird ihm das Gespräch mit Conrad um einiges leichter fallen. Und wo willst du hin?«
»Zu meiner Oma. Ich habe tausend Fragen an sie zu meinem Metamorph-Problem und warum sie mich nicht früher aufgeklärt hat. Also rechne nicht zu bald mit mir.«
»Hast du immer noch Meinungsdifferenzen mit deinem Seelentier? Oder kommst du mit dem Vogelweibchen besser klar?«
»Sagen wir mal so: Wir dulden einander.«
Evelyn lachte. »Na, wie ich sehe, bist du ein richtiger Versteher des weiblichen Geschlechts.«
Die Neckerei traf ihn mitten ins Herz. Er steckte die Hände in die Jeanstaschen und zog den Kopf ein, als wäre er selbst ein Vogel, der sich aufplusterte. »Ich bin froh, wenn die Weiber â ob gefiedert oder nicht â mir vom Leib bleiben. Zum
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