Nachtseelen
der Tollwut, die auf den ersten Blick ähnliche Symptome und Strukturen aufweist.«
»Du hast vom letzten Stadium der Krankheit gesprochen. Was passiert dann?«
»Es endet immer tödlich.«
Finn musste schlucken. »Was wird mit mir im Krankheitsverlauf geschehen?«
»Die Symptome ähneln sehr der Tollwut. Zuerst treten grippeartige Erscheinungen auf. Danach kommen verstärkt Angst- und Verwirrtheitszustände, Aggressivität und Lähmungen, Wutanfälle und Aquaphobie. Blackouts sind häufig zu beobachten. SchlieÃlich Krämpfe
und Schluckbehinderung, Fieber und anschlieÃend der Tod.«
Er schwieg kurz. Bei der Vorstellung, zu einem tollwütigen Tier zu mutieren, wurde ihm siedend heiÃ.
»Und wie schnell geht das?«
»Unterschiedlich. Ein Seelentier an deiner Seite verlangsamt in gewissem Sinne den Prozess, doch die häufigen Verschmelzungen mit ihm beschleunigen das Voranschreiten der Infektion. Am längsten kannst du überleben, wenn dein Seelentier zwar da ist, aber du dich mit ihm nicht verbindest. So kannst du mehrere Jahrzehnte durchstehen. Nichtsdestotrotz sind die Aussichten eher deprimierend.« Juliane senkte die Stimme. »Du wirst eines qualvollen Todes sterben, und es gibt nichts, was dich retten könnte.« Sie strich ihm über die Wange. »Oh Junge, es tut mir so leid.«
Er sprang auf und machte einige Schritte durch das Zimmer. »Aber du lebst noch. Obwohl du kein Seelentier mehr hast.«
Sie sah ihn nicht an. »Das verdanke ich einer harten Arbeit an meiner geistigen Entwicklung.«
Finn lachte verbittert. »Ich wusste nicht, dass Doktor Kawashima Gehirnjogging auch für Metamorphe vermarktet hat.«
»Nun ja. Vielleicht ist mein Organismus auch widerstandsfähiger, als es bei dem Durchschnitt der Fall ist. Dennoch habe ich nicht mehr lange. Ich fürchte, nur ein paar Monate, dann ist es vorbei.«
Erschüttert sah Finn sie an. Sie winkte nur ab. »Das
sieht man mir nicht an, und das ist gut so. Ich trauere nicht um mich, also tu du es auch nicht.«
Ein Funke Hoffnung glomm in ihm auf. »Kannst du mir beibringen, wie man den Verlauf verzögert?«
»Ja. Am besten du bleibst bei mir. Hier bist du in Sicherheit, und ich kann dir alles zeigen, was dir hilft, länger am Leben zu bleiben. Du wirst sehen, man kann den Verlauf der Krankheit, wenn schon nicht besiegen, dann doch wenigstens aufhalten.«
War das wirklich die Lösung all seiner Probleme? Finn wagte es kaum zu glauben. Er wollte gerade antworten, als es am Fenster klopfte. Auf dem Sims hüpfte aufgeregt der Rotmilan und schlug mit den Flügeln.
Finn hielt inne. »Es ist irgendwas Schlimmes passiert. Ich muss los.« Er lief in den Flur.
Seine Oma eilte ihm hinterher und packte ihn am Ãrmel. »Nein, warte. Du kannst jetzt nicht gehen! Verstehst du denn nicht? Linnea ist hinter dir her, du bist krank und weiÃt überhaupt nicht, wie du dagegen vorgehen musst, und du willst gehen? Ausgerechnet jetzt?«
»Ich muss.« Er küsste sie auf die Stirn und drehte sich zur Tür.
»Nein!« Sie tippelte hinter ihm her. »Nein, geh nicht. Ich kann das nicht zulassen!«
Auf der Schwelle drehte er sich um. »Ich werde zurückkommen. Versprochen. Aber zuerst muss ich denjenigen helfen, die mir viel bedeuten. Ich muss Ylva retten, ich muss Albas Leben in Ordnung bringen, damit sie sich nicht mehr vor Micaela fürchten muss ⦠Es
gibt noch so vieles, was ich erledigen muss, bevor ich mich um mich kümmern kann.« Er hastete durch den Garten. Inzwischen war es dunkel geworden â die Herbstzeit setzte dem Tageslicht schnell ein Ende. Der Rotmilan stob in die Luft und flog ihm voraus.
Am Gartentor blickte Finn ein letztes Mal zurück und sah, wie seine Oma klagend die Arme hob. »Aber du hast doch gar nicht deinen Tee getrunken!«
Kapitel 16
A lba wusste nicht, womit sie die Zeit totschlagen sollte, deshalb stöberte sie in den Zeitungen und Zeitschriften, die im Wohnzimmer herumlagen, um weitere Berichte über die mutmaÃlichen Entführungsfälle zu finden. Viele Informationen konnte sie auf diesem Weg nicht ergattern. Bis jetzt gab es nur einen Todesfall und zwei verschwundene Kinder, von denen jede Spur fehlte. Alba konzentrierte sich auf ihre Erinnerungen, doch abgesehen von verschwommenen Fetzen, die keinerlei Zusammenhang aufwiesen, kam ihr nichts in den Sinn. Die
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