Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
ein tolles Leben! Vielleicht sollte ich in Immobilien investieren, jetzt wo der Markt dafür schwach ist. Was so eine Einsiedlerhöhle heutzutage wohl kostet? Ich werde ja offensichtlich nur ein Zimmer brauchen.«
Nell schüttelte den Kopf. »Du wirst nicht allein sein, mein Kind.« Bei diesen Worten sah sie mich eindringlich an. Auf ihrem Gesicht war keine Spur eines Lächelns mehr zu erkennen. »Dein Leben hat doch gerade erst begonnen.«
Ich weiß nicht, ob das ein Versprechen oder eine Warnung war. Oder beides.
Ich sah ihr stumm dabei zu, wie sie von ihrem kleinen
Schaukelstuhl kletterte. Dann wickelte sie ihn in die Patchworkdecke und legte Trill das Bündel auf den Rücken. Komischerweise hatte sich die Kelpie wieder in ein Pony verwandelt, ohne dass ich es bemerkt hatte.
»Geh schwimmen, Jane«, riet mir Nell. »Das wird dir guttun. Lade deine Batterien wieder auf. Morgen wird sich ein Ermittler bei dir melden. Peter Jakes spielte irgendeine wichtige Rolle, aber wir wissen noch nicht welche, und die Ereignisse scheinen sich zu überstürzen. Ich weiß nicht, wen sie schicken werden, aber sei darauf gefasst, dass jemand kommen wird. Und mach dir keine Sorgen, wir werden hier sein und all deine Fragen beantworten. Lass dir Zeit. Du bist in meinem Territorium.«
Als Nell die letzten Worte sprach, knisterte die Luft um sie herum vor Energie, und ich wette, das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Kraft, die sich hinter ihrer molligen Gestalt verbarg.
Noch bevor ich die Gelegenheit hatte zu protestieren, ging sie neben dem grau schillernden Pony auf die massive Felswand zu … und verschwand. Mit Nell war auch das helle Licht, das sie ausgestrahlt hatte, verflogen, und meine Augen brauchten einen Moment, um sich wieder an das sanfte Schimmern des Nachthimmels zu gewöhnen.
Ich saß schweigend da und kraulte gedankenverloren einen pelzigen Bauch. Erschrocken stellte ich fest, dass ich irgendwann während Nells Enthüllungsstunde wohl den Arm um Anyan gelegt und angefangen hatte, sein zotteliges Fell zu streicheln. Es schien ihn nicht zu stören.
Ich konnte noch immer nicht begreifen, was ich da soeben alles erfahren hatte. Es war unglaublich und erklärte doch so
vieles. Und Nells Worte jagten mir ehrlich gesagt eine Heidenangst ein. Zugegeben, ich hatte die Tatsache, dass ich nur über die schrecklichen Geschehnisse in meinem Leben definiert wurde, immer gehasst. Ich saß fest an einem Ort, an dem ich immer nur eine Version dessen sein konnte, was die anderen in mir sehen wollten. Aber wenigstens kannte ich meine Rolle und wusste genau, wo mein Platz war. Es gab keine Fragen oder Unsicherheiten, wie ich einen Tag nach dem anderen verbringen würde. Und nun war plötzlich alles anders. Ich begriff nicht, wie es dazu hatte kommen können.
Ein Teil von mir war sich ziemlich sicher, dass ich morgen früh aufwachen und feststellen würde, dass alles nur ein seltsamer Traum war. Aber für den Moment hatte Nell schon Recht. Ich konnte jetzt wirklich eine Runde Schwimmen vertragen, so wie Joel Irving, unser Dorfsäufer, einen Schuss Wodka in seinen Morgenkaffee.
Ich stand auf und dehnte meine noch immer schmerzenden Beine. Morgen würde ich von meiner wilden Flucht einen schrecklichen Muskelkater haben. Ich streifte meine Schuhe ab und zog Jeans und Socken aus. Gerade wollte ich mir meinen Pulli über den Kopf ziehen, da bemerkte ich, dass Anyan verschwunden war. Ich drehte mich um und sah ihn gerade noch in der Felsspalte verschwinden.
»Also heute wird das Hundchen zur Abwechslung mal nicht gebeamt.« Ich musste lächeln und schlüpfte endlich aus meinem Pulli. »Ein komischer Hund«, dachte ich, als ich meine Unterwäsche auszog, zum Wasser rannte und dankbar hineintauchte.
Was hatte Nell nur damit gemeint, als sie sagte, er habe ihr alles über mich erzählt?
KAPITEL 5
M ein Gang ins Dorf am nächsten Morgen war ein ziemlich surreales Erlebnis. Überraschenderweise hatte ich die ganze Nacht gut geschlafen. Das bedeutete allerdings auch, dass ich die Ereignisse des vorigen Tages noch nicht verarbeitet hatte. Als ich beim Frühstück saß, ließ ich die gestrigen Geschehnisse noch einmal Revue passieren. Ich hatte Einblick bekommen in eine ganz andere Realität und keine Ahnung, was das nun für mich zu bedeuten hatte. Mir wollte einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen, dass Nell gesagt hatte, übersinnliche Wesen seien überall um uns herum. Nell oder Trill würden natürlich aus jeder Menge
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