Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
erneut darüber, warum die beiden sich so wenig mochten.
»Nell hat den Tod der Koboldin gespürt. Gretchen hatte eine Art Notsignal, das losging, als sie starb. Das bedeutet aber wohl auch, dass ihre Kanzlei bereits von ihrem Ableben erfahren hat und einige Vertreter wahrscheinlich schon auf dem Weg hierher sind. Wer auch immer sie getötet hat, der Mörder will die Kanzlei wohl auf Trab halten.
Sie haben die Leiche im Ofen der Bäckerei abgelegt, damit sie von Menschen gefunden wird. Die Überreste sind zwar ziemlich verkokelt, aber nicht so sehr, dass man sie nicht leicht als ein nicht menschliches Wesen entlarven kann. Wer auch immer sie dort abgelegt hat, hat mit einberechnet, dass Bäcker früh mit der Arbeit beginnen, und dass die Leiche somit entdeckt wird, noch bevor sie vollständig verbrannt ist …«
»… und zwingt uns, uns höllisch anzustrengen, damit wir sie und alle Beweise beseitigt haben, bevor ihre wahre Natur enttarnt werden kann«, führte Ryu seinen Satz zu Ende, und ich konnte wieder einmal sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.
Dann blickte er Anyan durchdringend an. »Wer weiß alles, dass du hier in Rockabill bist?«, fragte er ihn schließlich.
»Niemand außer Nell, Trill und die anderen Übersinnlichen von hier. Aber die sind entweder vorsichtig oder wissen nichts von meiner Vergangenheit.«
»Gut. Lass uns daraus einen Vorteil ziehen. Der Mörder glaubt, dass wir warten müssen, bis Gretchens Kanzlei den Fall übernimmt, was ihm Zeit gibt, zu verschwinden. Aber das ist nicht der springende Punkt. Ich glaube, dass der Mord an Gretchen nur eine Art Störfeuer darstellt, das uns ablenken soll, und ich fange langsam an, hinter diesen Qualm zu blicken.« Ryu verfiel in nachdenkliches Schweigen. Anyan sah ihn weiter aufmerksam an und ignorierte mich völlig.
»Kannst du die Leiche und all ihre persönlichen Gegenstände verschwinden lassen?«, fragte Ryu Anyan schließlich. »Und zwar unverzüglich?«
»Kein Problem«, antwortete der Hund ohne zu zögern. »Ist ja nichts Neues für mich.«
»Gut. Gretchens Kanzlei werden wir sagen, dass sich die Chance ergeben hat und wir sie ergriffen haben. Diese Begründung werden sie schon akzeptieren, vor allem wenn du mit im Spiel bist. Wenn du die Sache erledigt hast, melde dich bei mir, dann planen wir unsere weitere Vorgehensweise.«
Anyan antwortete mit einem knappen Nicken und machte sich sogleich auf den Weg, ohne noch einmal in meine Richtung geschaut zu haben. Ich wusste, dass alle gerade sehr angespannt waren und dass schwerwiegende Dinge vorgingen, die ich nicht verstand, aber trotzdem fand ich, dass seine plötzlich so kühle Haltung mir gegenüber ungerechtfertigt war.
Ryu nahm meine Hand, und wir spazierten zu seinem Strandhaus zurück. Auf dem Weg dorthin ging ich gedanklich noch einmal die Ereignisse des Abends durch. Dann fiel mir etwas ein.
»Anyan hat gesagt, er habe eine ›Vergangenheit‹. Was hat er damit gemeint?«, fragte ich Ryu.
»Anyan war der Leiter unserer verdeckten Operationen im letzten Großen Erbfolgekrieg. Ich habe übrigens in seiner Einheit gedient. Seiner Cleverness und Stärke verdanken wir einen großen Sieg, und er hätte eine hohe Position an unserem Hof einnehmen können. Aber stattdessen verschwand er einfach.« Ryu schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich wusste, dass er sich irgendwo herumtrieb, aber ich hatte keine Ahnung, dass ich ihn ausgerechnet hier, am Arsch der Welt, wiedertreffen würde.«
Ich wollte Ryu sagen, dass Rockabill so schlimm auch wieder nicht war, aber ich wusste, dass er es nicht nachvollziehen könnte. Mittlerweile wusste ich ziemlich genau, wie Ryus Prioritäten gelagert waren, und »frische Landluft« und eine »malerische Szenerie« spielten dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Ich dachte gerade darüber nach, wie es möglich war, dass ein Hund einen General abgab, als mir ein weiterer Gedanke in den Sinn kam. Wie konnte ein Hund bloß allein eine ganze Leiche und all ihre persönlichen Gegenstände aus einer Leichenhalle verschwinden lassen?
Doch bevor ich Ryu diese Frage stellen konnte, waren wir wieder im Haus angekommen, und er half mir aus dem Mantel. Und aus meinem Oberteil. Und aus meiner Jeans.
»Sieht so aus, als würde ich doch nicht so schnell wieder von hier verschwinden«, sagte er und schob mich Richtung Schlafzimmer. »Freust du dich?«
»Oh ja«, murmelte ich und half ihm dabei, seine Hose auszuziehen. Wir ließen uns auf das in dieser Nacht
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