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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Dann spüre ich Deinen Blick auf mir wie ein sengendes Licht. Und möchte zu Gott beten, daß er Dich mit mehr Verständnis erfüllen und das scharfrichterliche Glitzern aus Deinen Augen nehmen möge. Warum hast du ihm, wenn es um mich geht, nicht mehr Einbildungskraft verliehen? , möchte ich ihm zurufen, und es wäre ein Ruf voller Groll.
    Denn siehst Du: So groß, ja überbordend Deine Phantasie auch sein kann: Du hast keine Ahnung davon, was Schmerzen und ein gekrümmter Rücken aus einem Menschen machen. Nun gut, niemand scheint davon eine Ahnung zu haben außer den Opfern. Niemand. Du kannst mir wunderbar erklären, was Vladimir Bechterev herausgefunden hat. Und ich möchte kein einziges dieser Gespräche missen, es sind kostbare Stunden, wo ich mich bei Dir geborgen fühle. Aber dann ist es wieder vorbei, und ich kehre in die Hölle des Gebücktseins und Ertragens zurück. Und das eine scheinst Du nie zu bedenken: daß man von Sklaven der demütigenden Krümmung und des unausgesetzten Schmerzes nicht dasselbe erwarten kann wie von denjenigen, die ihren Körper vergessend hinter sich lassen können, um ihn, wenn sie zu ihm zurückkommen, lustvoll zu genießen. Daß man von ihnen nicht dasselbe erwarten kann! Und daß sie darauf angewiesen sind, das nicht selber sagen zu müssen , denn was wäre das für eine erneute Demütigung!
    Die Wahrheit – ja, die Wahrheit – ist ganz einfach: Ich wüßte nicht, wie ich das Leben ertragen sollte, wenn mich Enrique nicht jeden Morgen um zehn vor sechs abholte. Die Sonntage – Du hast keine Ahnung, was für eine Tortur sie sind. Manchmal schlafe ich Samstag nacht nicht, weil ich vorausahne, wie es sein wird. Daß ich auch jeden Samstag um viertel nach sechs das menschenleere Gebäude betrete: Sie machen Scherze darüber. Manchmal denke ich, daß aus Gedankenlosigkeit mehr Grausamkeit hervorgeht als aus jeder anderen Schwäche der Menschen. Ich habe für die Sonntage um einen Schlüssel gebeten, immer wieder. Sie haben es abgelehnt. Manchmal wünsche ich mir, daß sie für einen Tag, nur einen einzigen, meine Schmerzen hätten: damit sie verstünden.
    Wenn ich das Büro betrete, lassen die Schmerzen ein bißchen nach, es ist, als verwandle sich der Raum in eine entlastende Stütze im Inneren des Körpers. Bis kurz vor acht ist es still im Gebäude. Meistens studiere ich die Akten für den Tag, ich muß sicher sein können, daß es keine Überraschungen gibt, davor hat ein Mann wie ich Angst. Es kommt auch vor, daß ich Dichtung lese, der Atem wird ruhiger, es ist, als blickte ich auf die See, und manchmal hilft das gegen die Schmerzen. Verstehst Du jetzt?
    Aber Tarrafal, wirst Du sagen. Ja, Tarrafal, ich weiß, ich weiß. Soll ich deswegen den Schlüssel abgeben? Ich habe es ausprobiert, und nicht nur einmal. Ich habe ihn vom Bund genommen und auf den Schreibtisch gelegt. Dann habe ich das Gebäude verlassen und bin durch die Straßen gegangen, als hätte ich es wirklich getan. Ich habe in den Rücken hinein geatmet, wie der Arzt es empfiehlt, das Atmen wurde lauter und lauter, keuchend bin ich durch die Stadt gegangen, heiß vor Angst, aus der imaginären Handlung könnte eines Tages eine wirkliche werden. Mit schweißnassem Hemd saß ich später am Richtertisch. Verstehst Du jetzt?
    Ich habe nicht nur an Dich ungezählte Briefe geschrieben, die verschwanden. Auch an den Minister habe ich geschrieben, immer wieder. Und einen der Briefe habe ich in die Hauspost gegeben. Ich habe den Boten, der ihn zum Minister getragen hätte, auf der Straße abgefangen. Er war ungehalten, daß er den Sack durchwühlen mußte, und blickte mich mit der verächtlichen Neugierde an, die manche Leute einem Irren entgegenbringen. Den Brief habe ich dahin geworfen, wohin auch die anderen gingen: in den Fluß. Damit die verräterische Tinte weggespült werde. Verstehst Du jetzt ?
    Maria João Flores, Deine treue Freundin aus Schultagen, hat verstanden. Eines Tages, als ich es nicht mehr ertrug, wie Du mich angesehen hattest, traf ich mich mit ihr.
    »Er möchte Sie verehren können«, sagte sie und legte ihre Hand auf die meine, »verehren und lieben, wie man ein Vorbild liebt. ›Ich will ihn nicht wie einen Kranken sehen, dem man alles vergibt‹, sagt er. ›Es wäre dann, als hätte ich keinen Vater mehr.‹ Er weist den anderen in seiner Seele eine ganz bestimmte Rolle zu und ist ungnädig, wenn sie ihr nicht entsprechen. Eine gehobene Art von Selbstsucht.«
    Sie sah mich an und schenkte

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