Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
Tabletten genommen habe, sagte Eça mitten in der Partie. Zuerst vielleicht Erleichterung, daß es nun endlich zu Ende sein werde und man dem würdelosen Siechtum entronnen sei. Ein Hauch von Stolz über den eigenen Mut. Ein Bedauern, daß man nicht öfter so mutig gewesen sei. Ein letztes Resümee, eine letzte Vergewisserung, daß es richtig sei und falsch wäre, die Ambulanz zu rufen. Die Hoffnung auf Gelassenheit bis zuletzt. Das Warten auf die Eintrübung und die Taubheit in Fingerspitzen und Lippen.
    »Und dann pötzlich doch rasende Panik, ein Aufbäumen, der irrsinnige Wunsch, es möge noch nicht zu Ende sein. Eine innere Überschwemmung, ein heißer, reißender Strom von Lebenswillen, der alles beiseite fegt und alles Denken und Entscheiden künstlich erscheinen läßt, papieren, lächerlich. Und dann? Was dann ?«
    Er wisse es nicht, sagte Gregorius, und dann holte er Prados Buch hervor und las vor:
     
    War es nicht offensichtlich, einfach und klar, worin ihr Entsetzen bestünde, wenn sie in diesem Augenblick Kunde von ihrem nahen Tode erhielten? Ich hielt das übernächtigte Gesicht in die Morgensonne und dachte: Sie wollen einfach noch mehr vom Stoff ihres Lebens, wie leicht oder beschwerlich, wie karg oder üppig dieses Leben auch sein mag. Sie wollen nicht, daß es zu Ende sei, auch wenn sie das fehlende Leben nach dem Ende nicht mehr vermissen können – und das wissen.
     
    Eça ließ sich das Buch geben und las selbst, zuerst diese Stelle, dann das ganze Gespräch mit Jorge über den Tod.
    »O’Kelly«, sagte er schließlich. »Raucht sich zu Tode. ›Ja, und?‹ sagte er, wenn jemand ihn darauf ansprach. Ich sehe sein Gesicht dabei vor mir: Leck mich am Arsch. Und dann hat’s ihn doch erwischt mit der Angst. Merda .«
    Es begann zu dämmern, als die Partie zu Ende war und Aljechin gewonnen hatte. Gregorius nahm Eças Tasse und trank den letzten Schluck Tee. An der Tür standen sie sich gegenüber. Gregorius spürte, wie es in ihm zitterte. Eças Hände faßten ihn an den Schultern, und jetzt spürte er seinen Kopf an der Wange. Eça schluckte laut, Gregorius fühlte die Bewegung seines Adamsapfels. Mit einem heftigen Ruck, der Gregorius ins Wanken brachte, stieß sich Eça von ihm ab und öffnete die Tür, den Blick gesenkt. Bevor Gregorius auf dem Gang um die Ecke bog, blickte er zurück. Eça stand mitten im Gang und sah ihm nach. Das hatte er noch nie getan.
    Auf der Straße trat Gregorius hinter ein Gebüsch und wartete. Eça trat auf den Balkon und zündete eine Zigarette an. Gregorius schoß den Film voll.
    Er sah nichts vom Tejo. Er sah und spürte João Eça. Von der Praça do Comércio ging er langsam in Richtung Bairro Alto und setzte sich in der Nähe des blauen Hauses in ein Café.

47
     
    Er ließ Viertelstunde um Viertelstunde verstreichen. Adriana. Das würde der schwierigste Abschied werden.
    Sie öffnete und deutete sein Gesicht sofort richtig. »Es ist etwas passiert«, sagte sie.
    Eine medizinische Routineuntersuchung bei seinem Arzt in Bern, sagte Gregorius. Ja, es könne gut sein, daß er zurückkomme. Er war verblüfft, wie ruhig sie es aufnahm, fast verletzte es ihn ein bißchen.
    Sie atmete nicht hektisch, aber auffälliger als zuvor. Dann gab sie sich einen Ruck, stand auf und holte einen Notizblock. Sie möchte seine Telefonnummer in Bern haben, sagte sie.
    Gregorius hob erstaunt die Brauen. Da zeigte sie hinüber auf das Tischchen in der Ecke, wo ein Telefonapparat stand.
    »Seit gestern«, sagte sie. Und sie wolle ihm noch etwas zeigen. Sie ging voran ins Dachgeschoß.
    Die Bücherberge auf den nackten Dielen in Amadeus Zimmer waren verschwunden. Die Bücher standen jetzt in einem Regal in der Ecke. Sie sah ihn mit erwartungsvollem Blick an. Er nickte, trat neben sie und berührte sie am Arm.
    Jetzt zog sie die Schublade von Amadeus Schreibtisch auf, löste das Band, das die Kartondeckel zusammenhielt, und nahm drei Bogen Papier heraus.
    »Er hat es danach geschrieben, nach dem Mädchen«, sagte sie. Ihre magere Brust hob und senkte sich. »Die Buchstaben sind mit einemmal so klein. Als ich es sah, dachte ich: Er wollte es vor sich selbst verbergen.«
    Sie glitt mit dem Blick über den Text. »Es zerstört alles. Alles .«
    Sie tat die Blätter in einen Umschlag und reichte ihn Gregorius.
    »Er war nicht mehr er selbst. Ich möchte… bitte nehmen Sie es mit. Weit fort. Ganz weit fort.«
    Gregorius verfluchte sich später. Er hatte noch einmal den Raum sehen wollen,

Weitere Kostenlose Bücher