Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)
dann.
Auch heute roch es nach abgestandenem Essen, Staub und Pfeifentabak, und auch heute trug Coutinho ein ausgewaschenes Hemd von undefinierbarer Farbe.
Prado. O consultório azul . Ob Gregorius den Mann gefunden habe?
Keine Ahnung, warum ich dir das gebe, aber so ist es nun , hatte der Alte zu ihm gesagt, als er ihm damals das Neue Testament geschenkt hatte. Gregorius hatte es bei sich. Es blieb in der Tasche. Er erwähnte es nicht einmal, die richtigen Worte wollten nicht kommen. Intimität, sie ist flüchtig und trügerisch wie eine Luftspiegelung , hatte Prado geschrieben.
Er sei in Eile, sagte Gregorius, und gab dem Alten die Hand.
»Eins noch«, rief ihm der Alte über den Hof hinweg zu. »Werden Sie, wenn Sie jetzt wieder dort sind, die Nummer anrufen? Die Nummer auf der Stirn?«
Gregorius machte ein Zeichen der Ungewißheit und winkte.
Er fuhr in die Baixa, die Unterstadt, und schritt das Schachbrett der Straßen ab. Im Café gegenüber von O’Kellys Apotheke aß er etwas und wartete stets von neuem darauf, daß die Gestalt des rauchenden Apothekers hinter dem Glas der Tür auftauchte. Wollte er mit ihm noch einmal sprechen? Wollte er es?
Schon den ganzen Morgen spürte er, daß er etwas nicht richtig machte mit seinen Abschieden. Daß etwas fehlte. Jetzt hatte er es. Er ging hinüber zum Fotogeschäft und kaufte eine Kamera mit Teleobjektiv. Wieder im Café, holte er sich den Türausschnitt heran, in dem O’Kelly erschien, und schoß einen ganzen Film voll, weil er mit dem Abdrücken meistens zu spät kam.
Später fuhr er noch einmal zu Coutinhos Haus beim Cemitério dos Prazeres hinaus und fotografierte das baufällige, efeuüberwachsene Gebäude. Er holte die Fenster heran, doch der Alte erschien nicht. Schließlich gab er auf und ging auf den Friedhof, wo er Bilder vom Familiengrab der Prados machte. In der Nähe des Friedhofs kaufte er Filme nach und fuhr dann mit der alten Bahn quer durch die Stadt zu Mariana Eça.
Rotgoldener Assam mit Kandiszucker. Die großen, dunklen Augen. Das rötliche Haar. Ja, sagte sie, es sei besser, wenn er mit den Ärzten in der Muttersprache reden könne. Gregorius sagte nichts von der Ohnmacht in der Bibliothek von Coimbra. Sie sprachen über João Eça.
»Es ist ja ein bißchen eng in seinem Zimmer«, sagte Gregorius.
Für einen Moment huschte Ärger über ihr Gesicht, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt.
»Ich habe ihm andere Heime vorgeschlagen, komfortablere. Doch er wollte es so. Es soll karg sein , sagte er. Nach allem, was war, muß es karg sein. «
Gregorius ging, bevor die Teekanne leer war. Er wünschte, er hätte nichts über Eças Zimmer gesagt. Es war unsinnig zu tun, als stünde er ihm nach vier Nachmittagen näher als sie, die sie ihn schon als kleines Mädchen gekannt hatte. Als verstünde er ihn besser. Es war unsinnig. Selbst wenn es stimmte.
Als er sich am Nachmittag in Silveiras Haus ausruhte, setzte er die alte, schwere Brille auf. Die Augen wollten nicht.
Es war zu dunkel, um zu fotografieren, als er bei Mélodies Haus ankam. Es blitzte, als er trotzdem ein paar Bilder machte. Heute war sie hinter den erleuchteten Fenstern nicht zu sehen. Ein Mädchen, das den Boden nicht zu berühren schien . Der Richter war aus dem Wagen gestiegen, hatte mit seinem Stock die Autos angehalten, sich einen Weg durch die Zuhörer gebahnt und, ohne die Tochter mit der Ballonmütze anzublicken, eine Handvoll Münzen in den offenen Geigenkasten geworfen. Gregorius blickte hinauf in die Zedern, die Adriana, kurz bevor ihr der Bruder das Messer in den Hals stieß, blutrot erschienen waren.
Jetzt sah Gregorius einen Mann hinter dem Fenster. Das entschied die Frage, ob er klingeln sollte. In der Bar, in der er schon einmal gewesen war, trank er einen Kaffee und rauchte, wie damals, eine Zigarette. Dann ging er auf die Burgterrasse hinüber und prägte sich das nächtliche Lissabon ein.
O’Kelly war dabei, den Laden abzuschließen. Als er ein paar Minuten später auf die Straße trat, folgte ihm Gregorius in so großem Abstand, daß er ihn dieses Mal nicht würde entdecken können. Er bog in die Gasse ein, in der der Schachclub lag. Gregorius ging zurück, um Bilder von der erleuchteten Apotheke zu machen.
45
Am Samstag morgen fuhr Filipe mit Gregorius zum Liceu. Sie packten die Campingsachen ein, und Gregorius nahm die Bilder von Isfahan von den Wänden. Dann schickte er den Fahrer weg.
Es war ein sonniger, warmer Tag, nächste Woche begann
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