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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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einem Fuß auf den anderen. Nur der Priester war imstande, das grausam verzerrte Gesicht des Toten anzusehen.
    »Offensichtlich hat dieser Mann Selbstmord begangen«, meinte der Anführer der SS -Männer.
    »Ja, das sehe ich auch. Aber warum? Und wer ist er?«
    »Ich weiß es nicht, Herr Pfarrer«, erwiderte der Soldat.
    Die anderen drei stampften in dem engen Raum unruhig mit den Füßen. Sie fühlten sich unbehaglich und hatten es eilig, wieder hinauszukommen. In Anbetracht der Fleckfieberepidemie, die in der Stadt wütete, war es keinem von ihnen angenehm, so nahe mit einem Polen zusammenzustehen.
    »Aber warum hat er sich dazu ausgerechnet meinen Glockenturm ausgesucht?« fragte Wajda lauter.
    Der Anführer zuckte abermals mit den Schultern. »Ich glaube, er war ein Homosexueller.«
    Pfarrer Wajda ließ seinen Blick noch einmal über das verzerrte Gesicht und den leblosen Körper schweifen und meinte schließlich: »Ja, Herr Unterscharführer, Sie haben wohl recht. Jetzt erinnere ich mich an diesen Mann …«
    Wajda schüttelte traurig den Kopf. Dieser Mann hatte sich im Widerspruch zur kirchlichen Lehre das Leben genommen. Er würde kein kirchliches Begräbnis erhalten.
    »Würden Sie sich bitte um die Angelegenheit kümmern?« bat er den {250} Unterscharführer. »In diesem Fall muß wohl der Kommandant darüber befinden, was weiter mit der Leiche geschieht.«
    Der Unterscharführer erteilte einem seiner Untergebenen einen knappen Befehl. »Schaffen Sie diesen Leichnam hier heraus, und setzen Sie einen Bericht an den Hauptsturmführer auf.«

20
    Den ganzen Tag über trafen Mitglieder der Partisanengruppe aus dem Norden in der Höhle ein; manche kamen zu zweit oder zu dritt, viele allein. Moisze Bromberg empfing sie am Eingang und gab ihnen die ersten Anweisungen. Dann verwies er sie an Ben Jakobi, dessen Aufgabe es war, ihnen zu erklären, daß sie ein unter Quarantäne stehendes Gebiet betreten hatten und daß sie ihn sofort davon unterrichten sollten, wenn bestimmte Krankheitssymptome bei ihnen aufträten. Danach wurden die Neuankömmlinge den einzelnen Gruppen zugeteilt, mit Waffen ausgerüstet und von ihrem Gruppenleiter in ihre Aufgaben während des Angriffs eingewiesen. Sie waren allesamt erfahrene Kämpfer und mit den deutschen Artilleriewaffen bestens vertraut. Kurz vor Mitternacht rief Brunek sie zusammen und inspizierte seine fünfundsechzig Mann starke Streitmacht.
    »Wir werden uns eine Stunde nach Mitternacht in kleinen Gruppen auf den Weg machen. Zusammenkunft um Punkt vier Uhr morgens an den verabredeten Plätzen. Der erste Gewehrschuß ist das Zeichen zum Angriff. Jetzt ruht euch noch ein wenig aus. Die ersten Gruppen schwärmen bald aus; die übrigen folgen in angemessenen Abständen.« Wie alle anderen nahmen Każik und Stanisław je einen Satz Handgranaten und ihre Maschinenpistolen und begaben sich zum Höhlenausgang. Sie sollten unter den ersten sein, die sich auf den Weg machten. Still und nachdenklich lehnten sie sich etwas abseits von den anderen gegen die stark gewölbte Höhlenwand. Die Nacht schien sich unerträglich langsam dahinzuziehen. Einige wenige, die es konnten, schliefen. Die übrigen starrten gespannt und bange in die Dunkelheit. Endlich stand Moisze Bromberg auf und ergriff das Wort: »Es ist Zeit, aufzubrechen. Każik, Sie und Stanisław gehen als erste.«
    {251} Während sie sich bereitmachten und ihre Ausrüstung zusammenpackten, stieß Stanisław an die niedere Decke.
»Verflucht!«
zischte er und rieb sich den Kopf.
    David Ryż, der sich auf einem Packen Granaten in der Nähe ausruhte, spitzte die Ohren. Er beobachtete, wie Każik und Stanisław ihre Ausrüstung aufsammelten und dann durch die Höhlenöffnung nach draußen schlüpften.
    Nachdem sie fort waren, sah David Abraham nachdenklich an und murmelte: »Laß uns als nächste gehen.«
    Im Nu waren sie auf den Beinen und suchten eilig ihre Waffen zusammen. Leokadja, die das dritte Mitglied ihrer Gruppe sein sollte, beobachtete sie aus einem entfernten Winkel der Höhle heraus und runzelte die Stirn. Sie waren noch nicht an der Reihe zu gehen.
    David und Abraham waren verschwunden, bevor jemand ihren Aufbruch bemerkte, und bis Leokadja aufspringen und hinauseilen konnte,
     waren sie schon fort.
    Abraham folgte David den Pfad hinauf, bis sein Freund auf halbem Weg stehen blieb und sich ruckartig umdrehte. »Abraham, ich denke, irgend etwas stimmt hier nicht!«
    Abraham versuchte, Davids Gesicht in der Dunkelheit

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