Nachtzug
auszumachen, doch eine dichte Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, so daß er kaum etwas erkennen konnte. »Was willst du damit sagen?«
»Gerade eben in der Höhle habe ich Stanisław auf deutsch fluchen hören, als er sich den Kopf an der Decke stieß.«
»Na und? Es gibt doch viele Polen, die Deutsch sprechen.«
»Das schon. Aber irgendwie kam es mir in diesem Fall merkwürdig vor. Sag, Abraham, wenn du dir mit dem Hammer auf den Daumen schlagen würdest, würdest du dann auf deutsch oder auf polnisch fluchen?«
»Hm, und was hast du jetzt vor?«
»Wir müssen ihnen folgen.«
»Warum? Sie gehen doch nur zu der Anlage.«
»Meinst du wirklich?« David wandte sich rasch um und lief weiter den Pfad hinauf. Abraham folgte ihm dicht auf den Fersen.
Gerade als sie den Berggipfel erreichten, hörten sie das ferne Geräusch eines Motorrads durch die Bäume. David und Abraham tauschten Blicke aus. »Los«, flüsterte David.
{252} Der Pfad, dem sie nun folgten, war ein anderer als der, den sie nach Sofia hätten einschlagen sollen. Das Motorengeräusch führte sie durch ein dichtes Waldstück, bis sie schließlich eine kleine Lichtung im Unterholz erreichten. Vorsichtig spähten David und Abraham durch die Bäume und sahen Każik Skowron, der rittlings auf einem deutschen Motorrad saß und eben dabei war, den Motor warmlaufen zu lassen.
»Was jetzt?« flüsterte Abraham.
»Ich weiß nicht. Ich kann Stanisław nirgendwo sehen.« Sie duckten sich und ließen die Beutel mit den Granaten sachte in den Schnee fallen, während sie ihre Gewehre weiter im Anschlag hielten.
»Vielleicht könnt ihr ihn jetzt sehen«, ertönte eine Stimme hinter ihnen.
Die beiden jungen Juden fuhren herum und sahen direkt in die Mündung von Stanisławs Maschinenpistole.
»Mach den Motor aus!« rief er Każik auf deutsch zu. »Wir haben Besuch. Na los, ihr heldenhaften Partisanen, Flossen hoch!«
»O Gott …«, stöhnte Abraham, der seine Waffe fallen ließ und langsam die Arme hob.
»Ihr dreckigen Schweine!« stieß David hervor, während er sein Gewehr wegwarf und aufsprang. »Ihr seid Deutsche! Spitzel!«
»Wie scharfsinnig von dir, Jude. Aber jetzt dreht euch um. Ihr müßt ein wenig graben.«
Stanisław richtete seine Maschinenpistole auf Abraham und stieß ihn mit dem Lauf an. Wankend stand Davids Freund auf und taumelte auf die kleine Lichtung. David lief mit düsterem Gesicht und erhobenen Händen hinterher.
»Von euren Freunden braucht ihr keine Hilfe zu erwarten«, sagte Każik. Er stieg vom Motorrad ab und kam auf sie zu. »Sie werden heute nacht ihr blaues Wunder erleben. Und sie können unsere Schüsse nicht hören. Ihr könnt euch deshalb die Hoffnung aus dem Kopf schlagen, daß sie kommen und euch retten. Wie schade! Für Juden seid ihr doch recht nette Jungs.«
»Hier herüber!« bellte Stanisław. »Auf die Knie! Fangt an zu graben!«
»Was sollen wir graben?« fragte David.
»Euer Grab natürlich, was denn sonst? Vorwärts!«
{253} Die beiden deutschen Soldaten hielten ihre Maschinenpistolen, die aus dem Waffenvorrat der Partisanen stammten, auf die Köpfe der jungen Männer gerichtet und sahen zu, wie David und Abraham mit bloßen Händen den Schnee beiseite schaufelten.
»Schneller!« befahl Każik. »Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Und wenn das Loch fertig ist, zieht ihr eure Kleider aus und kniet euch davor. Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, ist es ziemlich schmerzhaft, den Schnee mit bloßen Händen wegzukratzen. Je schneller ihr grabt, desto eher werdet ihr von dieser Qual befreit sein.«
Mit zusammengekniffenen, blutleeren Lippen schlug David Ryż wie rasend seine Nägel in den Schnee, während Abraham sich langsamer und fast wie im Traum bewegte.
Sie hatten gerade bis auf den gefrorenen, harten Grund hinuntergegraben, als Każik rief: »Das genügt! Juden brauchen kein richtiges Grab. Jetzt zieht eure Kleider aus! Schnell!« David erhob sich langsam und starrte die Deutschen trotzig an, während Abraham auf den Knien verharrte und an den Knöpfen seines Mantels nestelte.
Im nächsten Augenblick hallte ein Schuß durch die Nacht, und eine Kugel zerschmetterte Stanisławs Kopf. Erschreckt fuhr Każik Skowron herum und erhielt den zweiten und dritten Schuß in Gesicht und Brust. Er strauchelte einen Moment, blickte verwirrt um sich und brach dann im Schnee zusammen. Leokadja stand am Rande der Lichtung, das rauchende Gewehr noch immer im Anschlag.
David packte Abraham und zog seinen
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