Nachtzug
vor Schrecken wie gelähmten Freund auf die Füße. »Es war nicht leicht, euch zu finden«, erklärte die junge Frau und eilte auf die Männer zu. »Ich mußte dem Geräusch ihrer Stimmen folgen.«
David entfernte sich rasch. »Das ist nicht der Weg zum Depot«, rief Leokadja und rannte ihm nach.
»Diese beiden Schweine sagten etwas davon, daß unsere Leute heute nacht ihr blaues Wunder erleben würden«, erwiderte David über die Schulter hinweg, als die beiden anderen zu ihm aufgeschlossen hatten.
»O Gott, du glaubst doch nicht …«
»Ich wette, sie haben Schmidt alles gemeldet, und mein Gefühl sagt mir, daß er keine Zeit damit verschwenden wird, am Depot auf uns zu warten.«
{254} Rutschend und stolpernd rannten die drei durch die Dunkelheit. Sie befanden sich fast zwei Kilometer von der Höhle entfernt.
Als sie den Anfang des Pfades erreichten, der zum Höhleneingang hinunterführte, schlug ihnen eine unheimliche Stille entgegen. Während sie die steilen Felswände und die Bäume absuchten und angestrengt auf das leiseste Geräusch lauschten, flüsterte David: »Wo sind die Wachposten?«
»Irgend etwas stimmt hier nicht. Mir ist ganz komisch zumute«, murmelte Leokadja.
Der Wald wirkte merkwürdig bedrohlich, und die drei wurden das Gefühl nicht los, von tausend unsichtbaren Augen beobachtet zu werden.
»David, was ist passiert?« fragte Leokadja und trat dicht an ihn heran.
Mit finsterer Miene starrte der junge Mann weiter in die Dunkelheit. Als sein Blick auf eine leblose Gestalt in den Büschen fiel, ließ er sich auf die Knie nieder. Das von Entsetzen gezeichnete Gesicht des alten Ben Jakobi starrte ihn an. Sein Schädel war zertrümmert worden. David schlug sich die Hände vors Gesicht und murmelte mit erstickter Stimme ein jüdisches Totengebet.
Leokadja und Abraham knieten sich ebenfalls neben die Leichen, und plötzlich beschlich sie alle eine furchtbare Vorahnung von dem, was sie in der Höhle finden würden.
David stand auf. »Verteilt euch und gebt mir Rückendeckung«, stieß er hervor. »Ich gehe hinunter.«
Langsam und vorsichtig schlich er sich heran, immer darauf bedacht, die Totenstille nicht zu stören. Wenn hin und wieder ein Zweig unter seinem Fuß knackte, erstarrte er und lauschte. Dann setzte er seinen Weg fort. In der Nähe des Eingangs blieb er stehen und machte das verabredete Zeichen – drei lange Pfeiftöne. Er bekam keine Antwort.
Den Körper flach gegen die Wand gepreßt, wand er sich um den scharfen Felsvorsprung. Sein Atem ging schnell und flach. Als er auf der Höhe des Eingangs angelangt war, stand er einen Augenblick still und horchte. Dann stürmte er mit vorgehaltenem Gewehr hinein.
Da das Feuer erloschen und die Höhle mit beißendem Rauch erfüllt {255} war, konnte David nur schwer die Gestalten erkennen, die in grotesken Stellungen über den Höhlenboden verstreut lagen. Er ging zwischen ihnen hindurch und zählte zehn übel zugerichtete Leichen, die man einfach dort liegengelassen hatte.
Esther Brombergs Körper war von Kugeln durchsiebt. Die alte
Pani
Duda hatte eine eingedrückte Gesichtshälfte. Dem kleinen Jungen namens Icek war die Kehle durchgeschnitten worden. Wo David auch hinsah, bot sich ihm ein Bild des Grauens. Welch einen sinnlosen Tod waren sie alle gestorben!
In der Mitte der Höhle war das Feuer mit einem Haufen Kleidern erstickt worden. Wie benommen starrte David darauf, bis ihm mit Schrecken bewußt wurde, was hier geschehen sein mußte.
»Oh, mein Gott …«, flüsterte jemand hinter ihm. Leokadja trat sachte zwischen den Leichen hindurch und beugte sich zu jeder einzelnen hinunter, um sie auf mögliche Lebenszeichen zu untersuchen. Dann stellte sie sich neben David.
»Ihre Kleidung«, sagte er mit rauher Stimme, »die Deutschen haben sie gezwungen, ihre Kleider abzulegen, bevor sie sie abführten.«
David beugte sich hinunter und entdeckte auf dem schwelenden Feuer die Mäntel von Brunek Matuszek und Moisze Bromberg. »Sie können noch nicht weit sein. Wir waren nicht allzu lange weg«, stellte er fest.
»Die Waffen!« rief Leokadja plötzlich.
David blickte rasch zu ihr auf und sah die Panik in ihren Augen. Dann rannte er wortlos um den brennenden Kleiderhaufen und eilte in den hinteren Teil der Höhle. Abraham und die junge Frau standen einen Augenblick reglos da und vernahmen scharrende, kratzende Geräusche. Gleich darauf hörten sie David rufen: »Sie sind noch hier!«
Als er wieder hervorkam, trug er einen
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