Nachtzug
konnte.
Folglich konnte er nicht die innere Reinheit erlangen, die ihm den Empfang des Sakraments ermöglicht hätte. Während ein Laie auch ohne die Teilnahme an diesem heiligsten aller katholischen Rituale normal weiterleben konnte, war dies für einen Priester unmöglich. Er mußte die Feier des heiligen Abendmahls abhalten und die eucharistische Gabe dabei selbst einnehmen. Wenn er aber das Abendmahl an andere verteilen und die Beichte anderer entgegennehmen wollte, so mußte er selbst vor Gott rein sein. Doch Pfarrer Wajda fühlte sich nicht rein. Und er sah keine Möglichkeit, die Absolution zu erlangen. Piotr Wajda hatte einen Menschen getötet. Rudolf Bruckner. Diese Tat konnte er nicht beichten. Er konnte einem Priesterkollegen keine Information anvertrauen, die Dieter Schmidt nur zu gern durch Folter aus ihm herauspressen würde. Um seine Brüder zu schützen, mußte Pfarrer Wajda das Geheimnis weiter mit sich herumtragen und dadurch die ewige Verdammnis seiner Seele in Kauf nehmen.
Wie sehr er darunter litt, konnte niemand auch nur erahnen.
{275} Mit dem Sommer kamen die Nebelbänke, die sich frühmorgens über das Weichseltal legten und Sofia in ein trügerisches Schweigen hüllten. Und wie im Frühling dauerte die Fleckfieberepidemie an. Zwar ging die Zahl der Opfer leicht zurück, aber die Quarantäne wurde aufrechterhalten.
Der Druck, den das Oberkommando auf Dieter Schmidt ausübte, machte ihm das Leben unerträglich. Die Quarantäne hatte den Vorstoß der Wehrmachtstruppen in die Ukraine nachhaltig beeinträchtigt. Ihre Panzer hätten zur Reparatur nach Sofia gebracht werden sollen; der dort gelagerte Treibstoff wurde dringend benötigt; Ausrüstung und Verpflegung für die Soldaten hätten von Sofia herangeschafft werden sollen. Doch trotz des strategischen Werts, der Sofia unbestritten zukam, wagten die Deutschen es nicht, die Stadt zu betreten. Zu groß war ihre Angst, die ansteckende Krankheit an die Front zu verschleppen. Der SS -Kommandant konnte wenig tun. Die Epidemie hatte sich über ein zu großes Gebiet ausgebreitet und wütete mit unverminderter Heftigkeit. Außerdem versuchten Sofias Ärzte mit allen Mitteln, der Krankheit Herr zu werden.
In der hochsommerlichen Hitze wurden überall Kegelbahnen eröffnet, um die sich Bürger von Sofia in kleinen Gruppen versammelten. Diejenigen, die in den vorausgegangenen Monaten wegen Fleckfieber im Krankenhaus oder zu Hause behandelt worden waren, galten als immun gegen die Krankheit und konnten somit gefahrlos mit anderen zusammenkommen.
Jede Fabrik und jede größere Firma besaß eine eigene Kegelbahn. Der Parkettboden wurde für gewöhnlich hinter dem Gebäude auf einem Rasenstück ausgelegt. Darauf stellte man die neun Kegel, die mit hölzernen Kugeln ohne Grifflöcher umgestoßen werden mußten. Jungen, die am Ende der Bahn saßen, richteten die umgefallenen Kegel wieder auf und verkündeten den Spielstand. Die Polen trafen sich an warmen Tagen, tranken ihr starkes Bier und forderten sich gegenseitig heraus, als ob ihre einzige Sorge darin bestünde, beim Kegeln die höchste Trefferzahl zu erlangen.
Die deutschen Besatzer sahen dem Treiben aus sicherer Entfernung zu. Das einzige, was für Dieter Schmidt noch zu tun blieb, war, mit Argusaugen darüber zu wachen, daß kein neuer Widerstand aufkeimte.
{276} Die traditionellen polnischen Feiertage kamen und gingen: Allerheiligen, Weihnachten, Silvester und Ostern. Der Winter brachte einen Anstieg der Fleckfieberfälle, die allesamt vom Warschauer Labor bestätigt wurden. Die Quarantäne wurde fortgesetzt. Regelmäßig erhielten die Einwohner von Sofia von den Ratsmitgliedern Anweisungen und spielten weiter ihre Rolle. Bis zum April 1943.
Die beiden Männer saßen gemütlich bei einer Schlachtplatte mit Sauerkraut und leerten gemeinsam mehrere Gläser Bier. Sie kamen so selten zusammen, daß sie es jedesmal besonders genossen, wenn sich doch hin und wieder ein Treffen ergab.
Dr. Fritz Müller, rangältester Sanitätsoffizier im Warschauer Laboratorium für Volksgesundheit, schüttelte den Kopf. »Du führst ein aufregendes Leben, mein Freund«, meinte er anerkennend. »So viele Orden! Alle Achtung!« Er lächelte und warf einen bewundernden Blick auf den Kragen seines Freundes, zwischen dessen Rangabzeichen das begehrte Ritterkreuz mit dem Eichenlaub prangte. »Und jetzt befehligst du auch noch eine Einsatzgruppe! Ich bin beeindruckt!«
Der andere Mann lächelte verlegen. Das Lob war
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