Nachtzug
etwas gibt, für das sich Jan Szukalski mit Leib und Seele einsetzt, so ist es, Seuchen wie Fleckfieber von Sofia fernzuhalten.«
Die Frau von damals war Maria Duszynska gewesen. Und bei dem Mann handelte es sich um Jan Szukalski.
Max Hartung senkte den Blick und starrte auf seinen Teller mit kalt gewordenem Sauerkraut. Da war auch noch etwas anderes, woran er sich jetzt erinnerte …
Die letzte Nacht, die er zusammen mit Maria verbracht hatte. Er hatte halbwach auf ihrem Bett gelegen, während sie neben ihm schlief. Und dann hatte sie plötzlich ein Wort ausgestoßen: Fleckfieber.
Sie müsse wohl im Schlaf gesprochen haben, hatte sie ihm später er {279} klärt. Sie habe von einem Fall geträumt, der sie tags zuvor beschäftigt habe. Und doch wunderte er sich über den merkwürdig heiteren Ton, in dem sie dieses Wort ausgestoßen hatte.
»Max?«
Verwirrt blickte er zu seinem langjährigen Freund auf. »Du mußt entschuldigen, Fritz. Ich war in Gedanken in Sofia. Gewisse Erinnerungen von damals gehen mir einfach nicht aus dem Sinn. Und jetzt hast du sie wieder in mir wachgerufen. Verzeih, ich verderbe unser gemütliches Beisammensein.«
»Schon gut, Max. Komm, wir bestellen noch zwei Bier.« Fritz Müller winkte einem vorbeigehenden Kellner. Dann wandte er sich wieder seinem Freund zu. »Wer hätte das gedacht, Max, du ein Sturmbannführer in der SS ! Und Befehlshaber einer Einsatzgruppe mit der Aufgabe, das Land für die Expansion des Reichs zu säubern!«
Max Hartung setzte wieder sein bescheidenes Lächeln auf und wartete, bis der Kellner die neuen Gläser abgestellt hatte. Als der Mann gegangen war, sagte er leise: »Es ist wahrhaftig eine Drecksarbeit, Fritz. Wehrlose Leute in Gräben zu schießen. Aber es ist notwendig. Untermenschen sind für das Reich untragbar. Sie haben keine Daseinsberechtigung. Aber welchen Ruhm ernte ich dabei?«
»Du bekommst doch Orden, Max.«
»Orden, ja, aber meinem Rang nach bin ich immer noch Major und habe seit zwei Jahren keine Beförderung mehr erhalten.«
»Du willst höher hinaus?«
»Ja«, antwortete er mit fester Stimme, »das will ich.«
Fritz Müller lehnte sich zurück und nahm einen langen Zug aus seinem Glas. Hartungs kalte, berechnende Augen, sein energisches, aristokratisches Kinn und sein stattlicher, stahlharter Körper verrieten dieselbe rücksichtslose Entschlossenheit, die Fritz schon als Kind an seinem Freund bemerkt hatte. Schon damals hatte er gewußt, daß Max Hartung nicht nur ein Mitläufer, sondern auch ein Anführer sein würde. Man brauchte ihn nur anzusehen, wie er in seiner schwarzen Uniform einherstolzierte und die Blicke aller Damen auf sich zog. Und jetzt wollte er noch mehr …
»Was schwebt dir dabei vor, Max?«
»Ich will wirkliche Macht, Fritz.« Maximilian Hartung beugte sich vor, und ein Ausdruck eisiger Entschlossenheit trat in seine Augen.
{280} »Ich will nicht mein Leben lang Befehlshaber einer Vernichtungstruppe bleiben.«
»Max …«
Hartung hob abwehrend die Hand. Er wollte nicht mehr sagen. Es gab Dinge, die er für sich behalten wollte und die er auch keinem engen Freund wie Fritz Müller je anvertrauen würde. Vor langer Zeit, als er in der Hitlerjugend gewesen war und die Nationalsozialisten im deutschen Volk einen neuen Nationalstolz weckten, hatte Maximilian Hartung sich mit Leib und Seele einer einzigen Sache verschrieben: dem Ruhm des Reiches und der Verherrlichung seiner selbst. Nein, Orden und Ränge reichten ihm nicht aus. Er wollte Anerkennung von Männern wie Himmler und Goebbels und sogar vom Führer persönlich. Max Hartung hatte es sich zum Ziel gesetzt, ein bedeutender Mann zu werden, und diesem Ziel war er bereit, alles zu opfern. Bisher war es ihm gelungen, ohne große Anstrengung auf der Erfolgsleiter nach oben zu klettern. Doch jetzt wollte er mehr. Er wollte Reichsprotektor von ganz Osteuropa werden, und er war fest entschlossen, einen Weg zu finden, wie er diesen Plan verwirklichen konnte.
Wieder mußte er an Sofia denken, und plötzlich erinnerte er sich auch an den Besuch bei den Szukalskis am Weihnachtsabend vor mehr als einem Jahr. Maria und er hatten für die Feier Wein und Kuchen mitgebracht. Durch einige geschickt plazierte Bemerkungen über die Widerstandsbewegung war es ihm gelungen, Jan Szukalski einen Kommentar zur politischen Lage zu entlocken. Wie hatte er damals doch gesagt … »Manchmal denke ich, daß mir eine Epidemie lieber wäre als dieser Krieg; so könnten wir
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